Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
Ein paarmal rammten sie verborgene Felsen, was einen Ruck und ein hässliches Knirschen verursachte. Dann hörten sie den Prinzen wimmern, doch ansonsten war er still, und die Fahrt verlief im Großen und Ganzen glatt.
Schließlich war die Sonne endgültig aufgegangen, und der Fluss wurde beträchtlich breiter, floss jetzt gemächlich zwischen sandigen Ufern und üppigen grünen Wiesen dahin. Der Galewyr trennte zwei Königreiche. Im Süden lag Glouston, die nördliche Grenzmark des Königreichs Warric, im Norden Galilin, die größte Provinz von Melengar, deren Verwaltung Graf Pickering innehatte. Einst war der Fluss eine heißumstrittene Grenze zwischen zwei reizbaren Kriegsherren gewesen, doch diese Zeiten waren vorbei. Jetzt war er eine Markierungslinie zwischen guten Nachbarn, und beide Uferboten das Bild einer ungetrübten ländlichen Idylle, voller Heuhaufen und weidender Kühe.
Es wurde außergewöhnlich warm. So spät im Jahr gab es kaum noch Insekten. Die Zikaden waren verstummt, und selbst die Frösche schwiegen. Zu hören war nur noch das leise Rascheln des Winds im dürren Gras. Hadrian lümmelte quer im Boot, die Füße auf dem Dollbord. Als Kopfpolster dienten ihm die Kleider des Leibdienersohns. Er hatte Mantel und Stiefel ausgezogen und das Hemd geöffnet. Auch Royce hatte die Beine hochgelegt und bediente mit einer Hand lässig das Ruder. Der liebliche Duft von wildem Salifan lag in der Luft und war jetzt nach den ersten Frostnächten noch intensiver. Bis auf die Tatsache, dass sie nichts zu essen hatten, war es ein herrlicher Tag, nicht nur deshalb, weil sie erst vor ein paar Stunden einem grässlichen Tod entronnen waren.
Hadrian reckte das Gesicht in die Sonne. »Vielleicht sollten wir Fischer werden.«
»Fischer?«, fragte Royce skeptisch.
»Ist doch nett hier, oder? Ich habe gar nicht gewusst, wie gern ich Wasser gegen ein Boot schwappen höre. Ich mag das alles: die schwirrenden Libellen, die Schilfkolben, das langsam vorbeiziehende Ufer.«
»Die Fische springen einem aber nicht einfach ins Boot«, wandte Royce ein. »Man muss Netze auswerfen und wieder einholen, die Fische ausnehmen und schuppen und ihnen die Köpfe abschneiden. Man kann nicht einfach nur faul dahintreiben.«
»So wie du das beschreibst, klingt das Ganze ja doch nach Arbeit.« Hadrian schöpfte eine Handvoll Wasser aus dem Fluss und befeuchtete sein warmes Gesicht. Er fuhr sich mit den nassen Fingern durchs Haar und seufzte zufrieden.
»Glaubst du, er lebt noch?«, fragte Royce, wobei er mit dem Kinn auf Alric deutete.
»Klar«, sagte Hadrian, ohne auch nur hinzuschauen. »Schläft vermutlich. Warum fragst du?«
»War nur so ein Gedanke. Meinst du, man kann unter einem nassen Kartoffelsack ersticken?«
Hadrian hob den Kopf und sah zu dem reglosen Prinzen hinüber. »Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.« Er stand auf und rüttelte an Alrics Füßen, aber der Prinz regte sich nicht. »Warum hast du das nicht früher gesagt!« Hadrian zog seinen Dolch, durchtrennte die Stricke und zog den Sack weg.
Alric lag leblos da. Hadrian beugte sich über ihn, um festzustellen, ob er noch atmete. In dem Moment trat der Prinz zu und schleuderte ihn von sich. Alric versuchte fieberhaft, die Fesseln um seine Fußgelenke zu lösen, aber Hadrian war schon wieder auf ihm, ehe er auch nur den ersten Knoten aufbekommen konnte. Er warf ihn rücklings auf die Planken und bog ihm die Arme über den Kopf.
»Strick her!«, blaffte Hadrian Royce an, der dem Ringkampf amüsiert zusah. Royce warf ihm ein Stück Strick zu, und als Hadrian den Prinzen wieder sicher verschnürt hatte, ließ er sich auf seinen Platz fallen.
»Siehst du?«, sagte Royce. » Das ist schon eher wie fischen. Nur dass Fische natürlich nicht treten.«
»Ich gebe zu, das war keine so gute Idee.« Hadrian rieb sich die Seite, wo ihn der Tritt des Prinzen getroffen hatte.
»Mich so zu behandeln ist euer Todesurteil! Das ist euch doch klar, oder?«
»Ist das nicht ein bisschen doppelt gemoppelt, Majestät?«, fragte Royce. »Ihr habt uns doch heute schon einmal zum Tode verurteilt.«
Der Prinz rollte sich auf die Seite und spähte mit zusammengekniffenen Augen ins grelle Sonnenlicht.
»Ihr!«, rief er verdutzt. »Aber wie seid ihr – Arista!« Seine Augen wurden schmal vor Zorn. »Nicht eifersüchtig, ha! Meine liebe Schwester steckt hinter dem Ganzen! Sie hat euch gedungen, meinen Vater zu ermorden, und jetzt will sie auch mich aus dem Weg räumen, damit
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