Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
Nacht bevor, nur dass wir diesmal gar keinen Unterschlupf haben.«
Royce murmelte etwas Unverständliches.
Drunten, eingerahmt von den Schluchtwänden, lag der See wie ein Spiegel, der den Himmel reflektierte. Ab und zu gleißte er hell auf, wenn es in der Ferne blitzte.
Royce knurrte wieder etwas.
»Was?«, fragte Hadrian.
»Ich habe nur über das nachgedacht, was du vorhin gesagt hast. Warum sollte Arista uns hierher geschickt haben, wenn sie gewusst hätte, dass wir nicht reinkommen? Also muss sie geglaubt haben, wir kämen rein; vielleicht hat sie ja nichts über das Wie gesagt, weil es für sie auf der Hand lag.«
»Vielleicht ist es was Magisches«, sagte Alric und wickelte sich fester in seinen Mantel.
»Fangt nicht wieder mit Euren Zauberworten an«, erklärte Royce. »Schlösser sind etwas Mechanisches. Glaubt mir, damit kenne ich mich einigermaßen aus. Zwerge sind sehr schlau und sehr geschickt, aber sie bauen trotzdem keine Türen,die sich auf einen Klang hin öffnen.«
»Ich habe das ja nur gesagt, weil Arista ein bisschen was davon versteht, also war es für sie vielleicht leicht reinzukommen.«
»Ein bisschen was wovon?«, fragte Hadrian.
»Magie.«
»Eure Schwester ist eine Hexe?«, fragte Myron beunruhigt.
Alric lachte. »Das kann man wohl sagen, aber nicht wegen ihrer Magiekünste. Sie war ein paar Jahre auf der Universität von Sheridan und hat Theorie der Magie studiert. Viel ist dabei nicht herausgekommen, aber ein paar Sachen hat sie hingekriegt. Zum Beispiel verschließt sie ihre Zimmertür mit Magie, und ich glaube, sie hat der Gräfin Amril eine Krankheit angehext, weil sie sich wegen irgendeines Jünglings gestritten haben. Die arme Amril hatte eine Woche lang eitrige Furunkel.«
Royce warf Hadrian einen Blick zu. »Was heißt, sie verschließt ihre Tür per Magie?«, fragte er den Prinzen.
»Die Tür hat kein Schloss, aber außer ihr kriegt sie niemand auf.«
»Habt Ihr Eure Schwester je diese Tür öffnen sehen?«
Alric schüttelte den Kopf. »Dummerweise nicht.«
»Myron«, sagte Royce, »hast du je irgendwo etwas über ungewöhnliche Schlösser oder Schlüssel gelesen? Vielleicht im Zusammenhang mit Zwergen?«
»Es gibt die Sage Iberius und der Riese , in der Iberius, um die Schatztruhe des Riesen zu öffnen, einen von Zwergen geschmiedeten Schlüssel benutzt, aber der war nicht magisch – nur groß. Und es gibt Liems Halskette , die sich erst öffnen ließ, wenn die Trägerin tot war – aber das hilft wohl nicht viel, oder? Hmm … mal überlegen … vielleicht hat es ja etwas mit Edelsteinschlössernzu tun.«
»Edelsteinschlösser?«
»Die sind auch nicht magisch, wurden aber von Zwergen erfunden. Es sind Edelsteine, die im Zusammenwirken mit anderen Edelsteinen ganz feine Vibrationen erzeugen. Edelsteinschlösser werden gewöhnlich dann benutzt, wenn mehrere Personen in der Lage sein sollen, ein bestimmtes verschlossenes Behältnis zu öffnen. Sie brauchen dann nur den entsprechenden Edelstein. Bei besonders gesicherten Behältnissen braucht der Stein vielleicht noch einen bestimmten Schliff, der die Schwingungen verstärkt. Richtig gute Edelsteinwerker können sogar Schlösser herstellen, die sich mit den Jahreszeiten verändern, sodass man je nach Jahreszeit verschiedene Edelsteine braucht, um sie zu öffnen. So entstand die Idee des Geburtssteins: weil bestimmte Steine zu bestimmten Zeiten besonders viel Kraft haben. Ich –«
»Das ist es!«, rief Royce dazwischen.
»Was?«, fragte Alric. Royce griff in seine Brusttasche und entnahm ihr einen dunkelblauen Ring. Alric sprang auf. »Das ist der Ring meines Vaters. Gib ihn her!«
»Gern«, sagte Royce und warf dem Prinzen den Ring zu. »Eure Schwester hat gesagt, wir sollen ihn Euch zurückgeben, wenn wir bei dem Gefängnis sind.«
»Ach?« Alric schien überrascht. Er steckte sich den Ring an den Finger. Wie sein Schwert war ihm auch dieses Erbstück etwas zu groß, sodass der Ring sich durch das Gewicht des Steins an seinem Finger drehte. »Ich dachte, sie hätte ihn an sich genommen. Es ist der Ring des königlichen Siegels. Sie hätte ihn benutzen können, um die Adligen zusammenzurufen, Gesetze zu machen oder sich zur Verweserin des Königreichs zu proklamieren. Mit dem Siegel hätte sie alle Herrschaft an sich reißen können.«
»Vielleicht hat sie ja doch die Wahrheit gesagt«, warf Hadrian ein.
»Keine vorschnellen Schlüsse«, mahnte Royce. »Erst einmal schauen, ob meine Idee funktioniert.
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