Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
enttäuscht.
»Ich meine, ich weiß einiges über die Kirche Nyphrons«, erklärte Myron, »aber da ich ihr nicht angehöre, habe ich keinen Zugang zu irgendwelchen geheimen Codes oder Formeln oder dergleichen.«
»Ach ja?«, sagte Hadrian. »Ich dachte, der Mariborglaube sei so etwas wie der ärmere jüngere Bruder der Nyphronkirche.«
Myron lächelte. »Wenn überhaupt wären wir der ältere, aber dennoch ärmere Bruder. Die Verehrung des Imperators Novron ist eine vergleichsweise junge historische Entwicklung, die erst ein paar Jahrzehnte nach dem Tod des Imperators einsetzte.«
»Dann betet ihr Mönche also Maribor an, während die Nyphronkirche Novron anbetet?«
»Nicht ganz«, sagte der Mönch. »Die Nyphronkirche betet auch Maribor an, legt aber mehr Gewicht auf Novron. Der Hauptunterschied liegt letztlich darin, was man sucht. Wir Mönche glauben an die persönliche Hingabe an Maribor – wir suchen seinen Willen in der Stille zu erfahren. Mit Hilfe uralter Rituale wollen wir ihn in dieser Stille zu unseren Herzen sprechen lassen. Unser Streben ist es, Maribor besser kennenzulernen.
Die Nyphronkirche hingegen versucht, Maribors Willen mit dem Verstand auszudeuten. Sie glauben, Novrons Geburt bezeuge Maribors Wunsch, die Geschicke der Menschheit direkt zu lenken. Deshalb sind sie sehr politisch. Die Geschichte von Novron kennt Ihr doch?«
Hadrian kaute auf der Innenseite seiner Wange. »Äh … er war der erste Imperator und besiegte die Elben in einemKrieg vor langer, langer Zeit. Warum ihn das zu einem Gott macht, ist mir allerdings nicht klar.«
»Er ist ja auch eigentlich keiner.«
»Warum beten ihn dann so viele Menschen an?«
»Novron gilt als Sohn Maribors, den uns dieser in unserer dunkelsten Stunde zu Hilfe sandte. Die eigentlichen Götter sind sechs. Erebus ist der Göttervater und hat die Welt Elan geschaffen. Er hat drei Söhne und eine Tochter hervorgebracht. Der älteste Sohn, Ferrol, ist ein Meister der Magie und hat die Elben erschaffen. Sein zweiter Sohn ist Drome, der Herr der Handwerkskunst, der die Zwerge erschuf. Der Jüngste ist Maribor, und der erschuf natürlich die Menschen. Erebus’ Tochter Muriel wiederum erschuf die Tiere, die Vögel und die Fische des Meeres.«
»Das sind fünf.«
»Ja, da ist noch Uberlin, der Sohn von Erebus und Muriel.«
»Der Gott der Finsternis«, steuerte Alric bei.
»Ja, von dem habe ich schon gehört, aber halt mal – sagtest du eben, der Göttervater zeugte ein Kind mit seiner eigenen Tochter?«
»Es war ein schrecklicher Fehler«, erklärte Myron. »Erebus tat Muriel Gewalt an, als er betrunken und außer sich war. Die Frucht ihrer Vereinigung war Uberlin.«
»Muss ja bei Familientreffen ganz schön peinlich gewesen sein – Vergewaltigung der eigenen Tochter«, sagte Hadrian.
»Kann man wohl sagen. Tatsächlich wurde Erebus wegen des Vorfalls von seinen anderen Söhnen, Ferrol, Drome und Maribor, erschlagen. Als Uberlin seinem Vater zu Hilfe eilen wollte, stürzten sich die drei auf ihn und nahmen ihren Neffen gefangen – oder müsste man sagen, Bruder ? Beides vermutlich? Jedenfalls schlossen sie Uberlin in den Tiefen Elans ein. Obwohl er durch einen schändlichen Missbrauch gezeugtworden war, war Muriel untröstlich über den Verlust ihres einzigen Sohns und sprach nie wieder mit ihren Brüdern.«
»Also sind wir jetzt wieder bei fünf Göttern.«
»Nicht ganz. Viele Leute halten Götter für unsterblich, sodass sie nicht erschlagen werden können. Einige Sekten glauben, dass Erebus noch lebt, in Elan umherwandert und Vergebung sucht.«
Der Himmel wurde immer dunkler, und der Wind frischte auf, als ob ein weiteres Unwetter nahte. Die Pferde wurden unruhig, und Hadrian ging nach ihnen sehen. Alric stand auf, machte ein paar Schritte, rieb sich die Beine und beklagte sich, dass er sich wundgeritten habe.
»Myron?«, rief Hadrian hinüber. »Willst du mir beim Absatteln helfen? Ich glaube nicht, dass wir so bald von hier wegkommen.«
»Natürlich«, sagte der Mönch eifrig. »Und wie geht das?«
Gemeinsam befreiten Hadrian und Myron die Tiere von Sattel und Gepäck und verstauten alles unter einem kleinen Felsvorsprung. Myron nahm einige Male seinen ganzen Mut zusammen und tätschelte einen Pferdehals. Als alles weggepackt war, hieß Hadrian den Mönch Gras für die Pferde rupfen und ging zu Royce hinüber.
Sein Partner saß auf der Erde und starrte die Felsfront an. Ab und zu stand er auf, untersuchte einen Teil der Wand
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