Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
sie?«
»Vergangen ist sie, doch so schnell nit, dieweil sie in Jahrhunderten bemessen. Ich kämpfte täglich einen Kampf. Geduld ist eine Tugend, die ein Adept der Kunst zu lernen hat. Und doch gab’s Augenblicke, da … je nun, wer kann schon sagen, was geistige Gesundheit ist?«
Als sie in den Gang mit den Gesichtern kamen, blickte Esrahaddon die Gangwände entlang und blieb betroffen stehen.Hadrian fragte: »Was ist?«
»Jene Gesichter, die zu Stein erstarrt, das sind die Handwerkskünstler, die diesen Kerker einst erbauten. Ich kam hierher, als letzte Hand gelegt ward an die Wände. Gesäumt war da der See von einer Zeltstadt. Zu Hunderten gefolgt warn sie dem Ruf, ihr Teil zu tun für ihren hingeschiednen Imperator. So war das Ansehn Seiner Imperialen Majestät. Sie alle trauerten um ihn, und wenige in der Weite und Vielfalt des Imperiums gab’s, die nicht ihr Leben für ihn mit Freuden hätten hingegeben. Ich, der ich zum Verräter abgestempelt, sah wohl den Hass in ihren Augen. Stolz waren sie, zu baun an meiner Gruft.«
Der Blick des Zauberers wanderte von Gesicht zu Gesicht. »Einige sind mir bekannt – Steinhauer, Steinmetze, Köche, Eheweiber. Versiegelt hat die Kirche so unschuldige Lippen, damit ja kein Geheimnis draus entschlüpfe. Alle, die ihr hier seht, mit einer Lüge in den Tod gelockt! Wie viele, die ihr Leben ließen? Wie viele Opfer, um eine Schandtat zu verbergen, die nicht einmal ein Jahrtausend konnte tilgen?«
»Da hinten ist keine Tür«, warnte Alric den Zauberer.
Esrahaddon sah Alric an, als wäre er gerade aus einem Traum erwacht. »Was redet Ihr? Durch ebenjene Tür seid Ihr doch hier hereingekommen«, sagte er und führte sie zügigen Schritts den Gang entlang. »Ihr wart nur nit in ihrer Phase.«
Hier im dunkelsten Teil des Gefängnisses leuchtete Esrahaddons Gewand noch heller: Er sah aus wie ein riesiges Glühwürmchen. Schließlich kamen sie an eine massive steinerne Wand, und ohne Zögern schritt Esrahaddon einfach hindurch. Die anderen folgten ihm rasch.
Die helle Sonne eines schönen klaren Herbstmorgens blendete sie. Blauer Himmel und kühle, frische Luft waren eine wohltuende Abwechslung zu der muffigen Düsternis. Hadrianatmete tief ein und genoss den Duft von Gras und Herbstlaub, den er, ehe sie durch die Felswand in das Gefängnis gelangt waren, überhaupt nicht wahrgenommen hatte. »Seltsam. Es müsste doch Nacht sein und regnen. Wir können doch nicht länger als ein paar Stunden da drin gewesen sein. Oder?«
Esrahaddon zuckte die Achseln und reckte das Gesicht in die Sonne. Er atmete mehrmals tief ein und wohlig seufzend wieder aus. »Stets überraschend ist der Preis, wenn man die Zeit verändert. ›Welchen Tages Morgen ist dies?‹, wär die bessre Frage. Desselben, des nächsten oder des danach? Zuweilen sind’s auch Dutzende, wenn nit gar Hunderte an Tagen, die unbemerkt verflogen.« Ihre entsetzten Mienen schienen den Zauberer zu amüsieren. »Habt keine Sorge, wahrscheinlich sind’s nur Stunden, die euch fehlen.«
»Das ist ganz schön unheimlich«, sagte Alric. »Einfach so Zeit zu verpassen.«
»Das ist’s wahrhaftiglich, zumal, wenn man wie ich gleich neun Jahrhunderte verpasst. Die ich gekannt, sind sämtlich tot, das Imperium existieret nimmer, und wer weiß, was aus der Welt geworden. Wenn wahr ist, was mir Eure Schwester zutrug, so, dünkt mich, hat sich auf der Welt gar einiges verändert.«
»Da wir gerade davon sprechen«, bemerkte Royce, »niemand sagt mehr Sachen wie existieret, nit und nimmer und ward und schon gar nicht wahrhaftiglich oder gar manches oder mich dünkt .«
Der Zauberer dachte kurz darüber nach und nickte dann. »Zu meiner Zeit hat oft verschieden man gesprochen, je nach dem Stande, dem man angehörte. Drumb nahm ich an, dass ihr von niedrem Stande oder, im Fall des Königs, von geringer Bildung wärt.«
Alric funkelte ihn wütend an. »Ihr redet komisch, nichtwir.«
»Ist dem so? Nun, in diesem Falle, dünkt – denke ich –, werd ich wohl meine Sprache nach der euren richten. Auch wenn sie roh und ungehobelt klinget – klingt.«
Hadrian, Royce und Myron machten sich ans Satteln der Pferde, die immer noch da standen, wo sie sie zurückgelassen hatten. Myron lächelte, sichtlich froh, wieder bei den Tieren zu sein. Er tätschelte sie, während er sich eifrig erkundigte, wie man einen Sattelgurt festzog.
»Wir haben nur drei Pferde, und Hadrian hat schon den Mönch mit auf seinem«, erklärte Alric. Er
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