Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
und streckte ihm die Hand hin.
Der Zauberer blickte auf Alrics Hand und lächelte. »Euer Wort ist mir genug.« Er wandte sich ab und ging den Hohlweg hinab, ohne auch nur eine Abschiedsgeste.
»Ihr wollt zu Fuß gehen? Es ist weit von hier irgendwohin «, rief ihm Hadrian nach.
»Ich freue mich auf die Reise«, antwortete der Zauberer,ohne sich umzudrehen. Er verschwand um die Biegung der alten Straße.
Die vier bestiegen ihre Pferde. Myron schien jetzt schon viel vertrauter mit den Tieren und kletterte ganz selbstverständlich auf seinen Platz hinter Hadrian. Er hielt es sogar erst dann für nötig, sich festzuhalten, als sie bergab ritten. Hadrian rechnete damit, dass sie Esrahaddon überholen würden, aber sie erreichten das untere Ende der alten Straße, ohne den Zauberer erblickt zu haben.
»Nicht gerade ein Mensch, wie man ihn an jeder Ecke findet, hm?«, sagte Hadrian, der sich immer noch nach Esrahaddon umsah.
»Nachdem ich gesehen habe, wie er aus diesem Gefängnis hinausgelangt ist, frage ich mich doch, was wir möglicherweise angerichtet haben, indem wir ihm dabei behilf lich waren«, sagte Royce.
»Kein Wunder, dass der Imperator so erfolgreich war.« Alric runzelte die Stirn und verknotete seine Zügel. »Obwohl ihre Zusammenarbeit bestimmt nicht ganz reibungsfrei verlief. Wisst ihr, ich biete nicht oft jemandem die Hand auf etwas, und wenn ich es tue, erwarte ich, dass meine Geste angenommen wird. Ich fand seine Reaktion doch recht beleidigend.«
»Ich weiß nicht, ob es unhöf lich gemeint war. Ich glaube, er konnte einfach nicht«, erklärte Myron. »Einschlagen, meine ich.«
»Warum nicht?«
»In den Gesammelten Briefen des Dioylion stehen ein paar Worte über Esrahaddons Einkerkerung. Die Kirche ließ ihm beide Hände abschlagen, um ihm die Durchführung von Zauberritualen zu erschweren.«
»Oh«, sagte Alric.
»Warum habe ich das Gefühl, dass dieser Dioylion keines natürlichen Todes starb?«, sagte Hadrian.
»Wahrscheinlich ist er eines von den Gesichtern in dem Gang.« Royce gab seinem Pferd die Sporen.
6
Nächtliche Erkenntnisse
»Man sagte mir, du willst mich sprechen, Onkel?« Prinzessin Arista rauschte in sein Amtszimmer. Ihr Leibwächter Hilfred blieb brav vor der Tür stehen. Wegen ihres Vaters noch immer in Trauer, trug Arista ein elegantes schwarzes Kleid mit silbernem Mieder. Ihre Haltung war majestätisch, mit geradem Rücken und hocherhobenem Kopf.
Großherzog Percy Braga erhob sich bei ihrem Eintreten. »Ja, ich habe einige Fragen an dich.« Er nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz. Auch er trug dunkle Kleidung, Wams, Umhang und Mütze aus schwarzem Samt, sodass seine goldene Amtskette stärker hervorstach als sonst. Seine Augen wirkten müde, und auf seinen Wangen zeichnete sich der Schatten eines Bartes ab.
»Ach ja?«, sagte sie und funkelte ihn misstrauisch an. »Seit wann bestellt der Großkanzler die amtierende Königin ein, um sie seine Fragen beantworten zu lassen?«
Percy sah sie an. »Es ist nicht bewiesen, dass dein Bruder tot ist, Arista. Noch bist du nicht die Königin.«
»Nicht bewiesen?« Sie ging zu Bragas Kartentisch, der mit Landkarten des Königreichs bedeckt war. Ein Heer von Fähnchenmarkierte die Standorte von Wachposten, Garnisonen und Kompanien. Sie hob das schmutzige Nachtgewand auf, das sie dort hatte liegen sehen; es trug das Falkenwappen der Essendons. Sie bohrte die Finger in die Löcher im Rücken des Kleidungsstücks und warf es dann auf seinen Schreibtisch. »Und was ist das?«
»Ein Nachtgewand«, antwortete der Großherzog knapp.
»Es ist das Nachtgewand meines Bruders, und diese Löcher sehen aus wie die Spuren eines Dolches oder Pfeils. Die beiden Mörder meines Vaters haben auch Alric getötet. Sie haben seinen Leichnam in den Fluss geworfen. Mein Bruder ist tot, Braga! Ich habe meine Krönung nur deshalb noch nicht anberaumt, weil ich die schickliche Trauerzeit einhalte. Doch die ist bald vorbei, also solltest du aufpassen, wie du mit mir sprichst, Onkel, sonst vergesse ich noch alle Familienbande.«
»Solange ich seinen Leichnam nicht habe, Arista, muss ich davon ausgehen, dass dein Bruder noch lebt. Und solange er lebt, ist er der rechtmäßige Herrscher, und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um ihn zu finden, ungeachtet deines Eingreifens. Das schulde ich deinem Vater, der mir dieses Amt anvertraute.«
»Falls du es noch nicht bemerkt hast, mein Vater ist tot. Du solltest dich lieber nach den
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