Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)

wenn man die Rhythmen der Natur verstanden hat. Ich sehe die zwölf Tierkreiszeichen als zwölf Gesichter der Existenz, abgelauscht dem Naturgeschehen. Um sich in die Widderseele einzufühlen, versetzt man sich am besten in die Aufbruchs-und Geburtsstimmung des ersten Frühlingsmonats, um sich in das Wesen von Stier einzufühlen, in die reiche, nährende Erdmutter, die die Gaben des Schlaraffenlandmonats Mai so großzügig darreicht.

Der kosmische Mensch
    Es gibt noch einen zweiten Zugang, um die Tierkreiszeichen zu verstehen. Denken wir wieder an den Grundsatz »Wie oben, so unten«. Demnach können wir den Menschen als Mikrokosmos begreifen, aber wenn »Wie oben, so unten« gilt, müsste man auch sagen können: »Wie unten, so oben«. Diese Sichtweise hat in einigen Kulturen das Bild eines großen kosmischen Menschen entstehen lassen, eines »Makro-Anthropos«. Für die Astrologie sehr interessant ist eine alte Darstellung, in der das Kind im Mutterleib als Tierkreis dargestellt wird. Im Mutterleib ist das Kind ja tatsächlich zum Kreis geformt, weil dort der Kopf an den Füßen liegt, und jeder Körperteil dieses kosmischen Babys wird einem Tierkreiszeichen zugeordnet. Der kleine kosmische Mensch beginnt beim Kopf, das ist die Widder-Entsprechung, dann kommt der Bereich von Mund, Kehle, der orale Bereich, auch die Schultern und der Nacken, das ist Stier, Zwillinge hat auf der Körperebene die Entsprechung in der Lunge und in den Armen und Händen. Dann geht es weiter, Krebs ist der Magen des kosmischen Menschen, Löwe Herz und Kreislauf, Jungfrau Darm-und Verdauungstrakt, Waage Nieren und Haut, Skorpion Becken und Unterleib, Schütze Hüfte, Steinbock Knie, Wassermann Unterschenkel, Fische die Füße. Hier kommt auch der medizinische Aspekt der Astrologie zum Tragen. Natürlich sind Kniebeschwerden nicht nur bei Steinböcken zu finden, Herzleiden nicht nur bei unglücklichen Löwen, aber jeder Mensch hat Stellen, an denen sein Körper bevorzugt reagiert.
    Es mag ein wenig seltsam anmuten, aber man kann mit Hilfe dieser Organentsprechung sehr viel über die Aufgabe eines Tierkreiszeichens im großen kosmischen Körper erfahren. Anders ausgedrückt, wenn man nach der Lebensaufgabe eines Widder-betonten, eines Stier-betonten, eines Jungfrau-betonten Menschen fragt, kann man sich an den Organentsprechungen orientieren und fragen, welche Aufgabe die jeweiligen Organe und Körperbereiche für den menschlichen Körper haben. Ich habe zum Beispiel das Bild gebracht, dass ein Jungfrau-betonter Mensch in seinem Leben und in seinem Umfeld die Aufgabe hat, wie ein Darm zu wirken. Was tut der Darm? Er ordnet die Speisen nach dem Prinzip der Nützlichkeit. Das, was der Körper braucht, wird behalten, das andere wird ausgeschieden. Dieser trennende, analytische, ordnende Vorgang entspricht der Aufgabe, die dieser Mensch in seinem Leben hat: Ordnung und Struktur herzustellen, so wie sie den Naturgesetzen entspricht.
    Betrachten wir noch Zwillinge, die Lunge des kosmischen Menschen. Wie die Lunge für Austausch von Sauerstoff sorgt, hat ein Zwillinge-betonter Mensch in seinem Umfeld für Austausch zu sorgen, für Kommunikation. Leitmotiv ist hier der Mittler. Oskar Adler hat den Atmungsvorgang gleichgesetzt mit dem dialektischen Prinzip: Einatmen-Ausatmen-Ruhepunkt, was wir auch als These-Antithese-Synthese verstehen können. Es geht also darum, immer wieder einzuatmen, das heißt ein Ja-aber, eine neue Frage zu finden, um geistig lebendig zu bleiben. Letztendlich, sagt Oskar Adler, ist es die Aufgabe eines Zwillinge-betonten Menschen, die Welt geistig in Atem zu halten. Ich habe die Organentsprechungen bei unserer Reise durch den Tierkreis jeweils dargestellt.
    Kein Tierkreiszeichen ist besser oder schlechter als das andere. Die Lunge (Zwillinge) ist nicht besser oder schlechter als die Nieren (Waage), der Sommer nicht besser oder schlechter als der Winter. Auch die Hochsommerzeit des Löwen, in der wir alle gern unseren Urlaub nehmen, hat ihre Schattenseiten, denn die Sonne kann auf der einen Seite Leben ermöglichen und gerade im Hochsommer Extrovertiertheit und Lebenslust symbolisieren, zugleich kann die Sonne auch verbrennen und vertrocknen. Zu viel Sonne macht die Erde unfruchtbar. Jeder Tierkreisarchetyp, auch jeder Planetengott und jede Planetengöttin hat eine helle und eine dunkle Seite.

Die vier Elemente
    Es gibt eine alte Einteilung der Tierkreiszeichen in die vier Elemente Feuer, Erde, Luft und Wasser. Verbindet man