Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
in vielen Beziehungen, bei denen es um Retten und Helfen geht. Ein klassisches Bild dafür ist der Krebs-betonte Mensch, der seinem süchtigen Partner großmütig und verständnisvoll noch den hundertfünfzigsten Rückfall in seine Sucht verzeiht, denn so wird er weiterhin gebraucht. So wichtig es ist, zu helfen und zu geben, so wichtig ist es auch zu sehen: Wo fördere ich in Wirklichkeit durch eine bestimmte Art des Gebens beim anderen Krankheit und Abhängigkeit, werde ich selbst dabei co-abhängig. Hier ist der Bezug auf den Gegenpol Steinbock mit seiner gesunden Härte notwendig.
Die Schnecke
Noch eine Lektion zum Thema »Sinn und Unsinn des Helfens«: Der alte Schamane Don Juan läuft mit seinem Schüler Carlos Castaneda durch eine mexikanische Kleinstadt. Da sehen sie mitten auf einer Straße eine Schnecke kriechen. Castaneda, der von seinem Meister gelernt hat, alle Tiere zu ehren, eilt sofort auf die Straße, nimmt die Schnecke und trägt sie zu einem sicheren Busch. Nun erwartet er, dass der große Meister ihn lobt, doch der sagt nur: »Du hast zwei Dinge übersehen. Erstens: Vielleicht hätte die Schnecke so viel persönliche Kraft gehabt, dass sie die Straße auch ohne deine Hilfe hätte überqueren können, und du hast ihr ihren Schwung geraubt. Zweitens: Es könnte doch sein, dass in dem Busch, wo du sie jetzt hingesetzt hast, giftige Kräuter sind und sie daran stirbt.« Castaneda ist ganz geknickt und will die Schnecke sofort wieder auf die Straße zurücktragen, aber der alte Mann sagt nur: »Lass sein, es gehört eben einfach zum Schicksal dieser Schnecke, dass ein Idiot wie du ihren Weg kreuzt und ihr den Schwung raubt.«
Mars in Krebs
Hier ist der innere Krieger ein sanfter Held. Es wirkt zunächst merkwürdig, das männliche kriegerische Mars-Prinzip, das eigentlich sein Domizil im Zeichen Widder hat, jetzt in dem empfindsamen Zeichen Krebs wiederzufinden. Auf den ersten Blick ist der Krebs-Mars, der Krebs-Krieger, eher ein schwacher Held. Seine Stärke lässt sich am besten mit einem Satz aus dem I Ging formulieren, der heißt: »Wasser überwindet durch Nachgiebigkeit.« Kriegführung durch Nachgiebigkeit und Einfühlung, das scheint weit entfernt zu sein vom üblichen Verständnis des Kriegers. Aber wie gesagt, kein Mars-Stand ist besser oder schlechter als ein anderer, kein Krieger ist von vornherein stärker oder schwächer als ein anderer; es gibt nun einmal verschiedene Definitionen von Kraft, verschiedene Gesichter des Krieger-Archetyps. Hier ist es der empfindsame Krieger, der sich in den Gegner hineinfühlt, sich dessen Kräfte zunutze macht.
Die Stärke des Krebs-Kriegers ist die Einfühlung in den Gegner, die Ahnung, welchen Schachzug der andere als nächsten vorhat. Er ist ein Krieger, der mehr reagiert als agiert und dessen Absichten nicht offensichtlich sind, der oft auf Wegen zu seinem Ziel kommt, die anderen verborgen bleiben. Das können Menschen sein, die sozusagen hinter einem durch eine Drehtür gehen und vor einem wieder herauskommen. Eine besonders raffinierte und zugleich sehr problematische Waffe des Krebs-Kriegers oder der Krebs-Aggression überhaupt sind Tränen; eine Waffe, bei der man dem anderen seine Wut nicht zeigt (das würde ja heißen, mit Steinen zu werfen, während man selbst im Glashaus sitzt), sondern ihm Schuldgefühle verursacht. Opfer, so genannte »schwache Menschen«, können eine unglaubliche Macht haben. Für einen Krebs-betonten Menschen ist es wichtig, sich bewusst zu werden, dass auch er Aggression in sich hat, in welcher Form auch immer sie sich äußert. Ich habe in meiner Arbeit oft festgestellt, dass Widder-betonte Menschen dann, wenn sie eigentlich tieftraurig sind, Wut äußern; bei Krebs-betonten Menschen ist es umgekehrt. Wenn sie zutiefst wütend sind, fangen sie an zu weinen. In dieser Situation wäre es wichtig, nicht auf der Opferrolle zu beharren, sondern sich einzugestehen, dass jeder Mensch Opfer und Täter zugleich ist, und in sich auch den Täter zu sehen. Aggression ist ja nicht notwendigerweise negativ und destruktiv, es ist ein Kraftpotenzial, das ausgelebt werden will und das dem Leben auch dienen kann.
Die passende Art, die eigene Stärke zu erfahren und zu leben, ist hier nicht etwa ein Supermann-bzw. Sieger-Konzept, um die eigene Unsicherheit und Empfindsamkeit zu übertünchen, sondern eine Haltung sanfter Bestimmtheit.
Auf der Ebene der Sexualität ist das Männerbild, das hier entsteht, der empfindsame,
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