Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
gepaart mit der Tendenz, alles persönlich zu nehmen. Für einen Krebs-betonten Menschen ist es sehr schwer, sachliche Kritik zu akzeptieren, ohne sich persönlich angegriffen und verletzt zu fühlen. Diese Bereitschaft, alles auf sich zu beziehen, kann groteske Formen annehmen. Ein Beispiel: Man hält einen Vortrag, und irgendjemand im Publikum hustet während der Rede. Ein Krebs-betonter Mensch meint sofort, der Zuhörer hustet, weil ihm das, was er erzählt, nicht gefällt oder weil er ihn einfach nicht mag, und er fühlt sich bedroht. Jemand anders würde sagen: Vielleicht ist der Herr erkältet. Für einen Krebs ist es eine große Leistung, nach dem Vortrag zu diesem Menschen zu gehen und ihn zu fragen: »Verzeihung, sind Sie erkältet, oder hat Sie irgendetwas an meinem Vortrag gestört?« Hier den Bezug zur Realität nicht zu verlieren und die persönliche Deutung nicht zu einem Ungeheuer anwachsen zu lassen, ist ein gutes Regulativ für den Krebs.
Krebs hat sehr viel mit Stimmung zu tun, mit Launen. Interessant ist, dass das Wort Laune von »Luna«, lateinisch für Mond, kommt. Der Mond ist schon deshalb launisch, weil er dauernd seine Gestalt ändert. Die Sonne ist immer gleich ganz und rund, aber der Mond ist mal Neumond, mal Vollmond, mal Halbmond, eben launisch, und ein Krebs-betonter Mensch ist ein launischer Mensch mit allen hellen und dunklen Seiten: Er kann sich sehr schnell auf die Stimmungen in seinem Umfeld einschwingen, ist dadurch jedoch den Stimmungswechseln, die auch von innen herkommen können, ausgesetzt, und deshalb ist sein Verhalten oft für andere schwer verständlich (manchmal auch für ihn selbst).
Die Mütterlichkeit, die ein Krebs-Mond geben kann und auch selbst in Beziehungen braucht, hat viel mit wortlosem Verstehen zu tun. Das kann zu dem Anspruch führen: Wenn ich erst sagen muss, was mir fehlt, wenn du das nicht spürst, dann liebst du mich nicht wirklich. Für manche Menschen ist das eine glatte Überforderung, denn so wird die Sensibilität, die der Krebs von der Anlage her selbst hat, auch beim anderen vorausgesetzt. Die Liebesenergie des Krebs-Monds liegt ja gerade in diesem Reagieren auf Unausgesprochenes, in dem Spüren, was hinter der Maske von Menschen vorgeht, was sie jenseits dessen, was sie erzählen und was sie tun, innerlich bewegt.
Die Dynamik der Gefühle ist bei Krebs eher zurückhaltend und von Vorsicht geprägt. Bevor er sich gefühlsmäßig öffnet, muss er an den Schwingungen des Umfeldes spüren, ob eventuell feindliche Reaktionen zu erwarten sind. Der Krebs kann seine Gefühle nicht einfach wie ein Widder-Mond nach dem Motto »Versuch und Irrtum« ausleben, dazu fühlt er sich zu angreifbar. Hat er einmal Vertrauen gefasst, ist er treu; wer einmal zur seelischen Familie gehört, wird nie vergessen. Die Erinnerung bleibt, was auch immer passieren mag. Die innere Realität einer Beziehung ist oft wichtiger als die äußere. Ich kann mich jemandem sehr nahe fühlen, auch wenn er Tausende von Kilometern entfernt ist. Ein Krebs braucht nicht unbedingt im selben Zimmer zu sein, um sich jemandem nahe zu fühlen, er muss den anderen dazu nicht anfassen wie der Erdmensch. Ein Erdmensch würde sagen: Was nützt mir die wunderbarste Liebe, wenn der geliebte Mensch nicht da ist?
Die Schattenseite des Krebs-Mondes ist zugleich die Schattenseite der gesamten Beziehungsthematik dieses Zeichens. Wer aufgrund der eigenen Verletzlichkeit und Hautlosigkeit so sehr von den Sympathien und der Liebe anderer Menschen abhängig ist, kommt leicht in Versuchung, Menschen durch Erpressung an sich zu binden. Wenn sich der andere entzieht, leidet man so demonstrativ, dass der Partner vor Schuldgefühlen kaum noch atmen kann. Man strahlt ohne Worte aus: Mir geht es schlecht – wegen dir. Schuldgefühlpolitik ist eine oft wirksamere Waffe als offene Aggression. Es gibt eine Zeichnung des Karikaturisten F. K. Waechter, die das sehr gut veranschaulicht. Da fliegt ein armes, ausgehungertes Vögelchen durch die Luft, und auf seinem Rücken hat es sich eine Riesenglucke bequem gemacht, die zu ihm sagt: »Vergiss nicht, dass ich dich unter Schmerzen geboren habe.« Man versucht oft, den anderen durch Geben an sich zu binden, weil man ihn braucht. Dadurch bekommt der Partner das Gefühl, auf keinen Fall jemals seinen eigenen Weg gehen zu dürfen: Wenn er den anderen verließe, wäre er ein grausamer Mensch, der dem anderen etwas ganz Schlimmes antut – vielleicht wird er krank, womöglich
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