Der Tierarzt kommt
ihr in die bleichen Wangen.
»Ja«, hauchte sie. »Ja, das ist es.«
»Wenn’s weiter nichts ist«, sagte ich ermutigend. »Da können Sie unbesorgt sein. Gehen wir ins Nebenzimmer, und erzählen Sie mir, wie Sie ihn füttern und so weiter.«
Es stellte sich heraus, daß Cedric sehr viel Fleisch bekam, und ich stellte einen Diätplan auf, verordnete weniger Protein und dafür etwas mehr Kohlehydrate. Ich verschrieb ein säurehemmendes Kaolinpräparat, das er morgens und abends bekommen sollte, und dann verabschiedete ich mich zuversichtlich.
Es war ein so banaler Fall, daß ich ihn längst vergessen hatte, als Mrs. Rumney wieder anrief.
»Cedric hat sich leider nicht gebessert, Mr. Herriot.«
»Ach, das tut mir aber leid. Immer noch diese... äh... diese... ja, ich verstehe... jawohl...« Ich dachte einen Augenblick nach. »Hören Sie, Mrs. Rumney – ich glaube kaum, daß es sich lohnt, wenn ich ihn mir noch einmal ansehe, aber vielleicht sollten Sie ihm ein bis zwei Wochen lang überhaupt kein Fleisch mehr geben. Füttern Sie ihn mit Hundekuchen und geröstetem Braunbrot. Versuchen Sie’s damit und mit ein bißchen Gemüse, und ich gebe Ihnen noch ein Pulver, das Sie ihm ins Futter mischen. Vielleicht könnten Sie es sich abholen.«
Dieses Pulver war eine ziemlich starke absorbierende Mixtur, und ich war sicher, es würde helfen, aber eine Woche später war Mrs. Rumney schon wieder am Telefon.
»Es hat sich absolut keine Besserung ergeben, Mr. Herriot.« Das Zittern war wieder in ihrer Stimme. »Ich... ich bitte Sie... kommen Sie doch noch einmal her.«
Ich sah zwar nicht recht ein, warum ich den völlig gesunden Hund ansehen sollte, aber ich versprach, noch einmal vorbeizukommen. Gerade an diesem Tag gab es sehr viel zu tun, und als ich in The Laurels ankam, war es nach sechs. Mehrere Wagen standen vor dem Haus, und ich sah, daß Mrs. Rumney Gäste hatte. Leute wie sie – aus der besseren Gesellschaft. In meiner Arbeitskleidung kam ich mir wie ein Landstreicher vor.
Mrs. Rumney wollte mich gerade in die Küche führen, als die Tür aufflog und Cedric sich mit voller Begeisterung auf die Gäste stürzte. Sekunden später versuchte ein äußerst gepflegt aussehender Herr sich verzweifelt gegen Cedric zur Wehr zu setzen, dessen Riesenpfoten ihm die Weste in Stücke zu reißen drohten. Der Arme büßte ein paar Knöpfe ein, woraufhin sich Cedric einer Dame zuwandte. Der Boxer hätte ihr Kleid zerfetzt, wenn ich ihn nicht von ihr fortgezerrt hätte.
In dem eleganten Salon brach die Hölle los. Die Klagerufe der Gastgeberin übertönten noch die Schreckensschreie der Gäste, während der Hund vergnügt durchs Zimmer tobte, aber sehr bald bemerkte ich, daß ein Element von eher schleichender Natur die Lage noch schlimmer machte. Die Luft erfüllte sich mit den unmißverständlichen Symptomen der unseligen Schwäche Cedrics.
Ich tat mein Bestes, um den Hund aus dem Zimmer zu schaffen, aber er schien den Begriff Gehorsam nicht zu kennen, und ich jagte ihm vergeblich nach. Und während peinliche Minuten verstrichen, wurde mir Mrs. Rumneys Problem zum erstenmal in seinem ganzen Ausmaß klar. Die meisten Hunde lassen gelegentlich Winde fahren, aber Cedric tat es ständig. Und jedesmal, wenn er sich einer stinkenden Ladung entledigt hatte, blickte er sich fragend nach seinem Hinterteil um und raste dann wild durch den Raum, als wolle er dem flüchtenden Duft nachjagen.
Es schien mir eine Ewigkeit, bis ich ihn endlich aus dem Zimmer hatte. Mrs. Rumney hielt die Tür weit offen, aber der große Hund war noch nicht mit den Gästen fertig. Beim Hinauslaufen hob er noch einmal schnell das Bein und spritzte einen mächtigen Strahl auf ein makellos gebügeltes Hosenbein.
Nach jenem Abend stürzte ich mich in den Kampf zur Rettung Mrs. Rumneys. Ich besuchte sie häufig und probierte zahllose Mittel an Cedric aus. Auch meinen Kollegen Siegfried zog ich zu Rate, und er schlug eine Diät mit Kohlehundekuchen vor. Cedric fraß sie in rauhen Mengen und mit sichtlichem Appetit, aber auch sie, wie alles andere, nützten überhaupt nichts.
Und die ganze Zeit grübelte ich über die rätselhafte Mrs. Rumney nach. Sie lebte seit einigen Jahren in Darrowby, aber die Leute in der Stadt wußten kaum etwas über sie. Es wurde leidenschaftlich darüber diskutiert, ob sie verwitwet sei oder von ihrem Mann getrennt lebe. Diese Frage interessierte mich nicht: mich beschäftigte, wie sie je an einen Hund wie Cedric geraten sein
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