Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
Vom Netzwerk:
die Sonne hell, und vor mir dehnte sich das grüne Hügelland unter einem sommerblauen Himmel. Das matte Gold des welken Farnkrautes hob sich gegen das saftgrüne Gras ab, dazwischen die dunklen Baumgruppen, die grauen Bauernhäuser und die endlosen niedrigen Steinmauern, die sich bis nach oben zum Heideland erstreckten.
    Ich war wie gewöhnlich in Eile, aber ich mußte anhalten. In der Morgensonne, die mich schon wärmte und den Reif wegtaute, blickte ich auf die dunkle und feuchte Nebeldecke zurück, die noch über den Tälern lag, und bestaunte die glitzernde Welt hier oben. Gern wäre ich länger geblieben, aber ich hatte eine Verabredung einzuhalten: um halb zehn sollte ich bei Lord Hultons Vieh mit dem Tuberkulintest anfangen. Mich beschlich eine böse Vorahnung, als ich um das Herrenhaus herum zu den Ställen fuhr. Nirgends waren Tiere zu sehen. Ich erblickte nur einen Mann in blauer Arbeitskleidung, der geschäftig auf das Gatter an einem provisorischen Pferch einhämmerte, der in die Viehkoppel mündete.
    Als er mich sah, drehte er sich um und winkte mir mit dem Hammer zu. Und als ich näher trat, wäre ich nicht erstaunt gewesen, wenn die schmächtige Gestalt mit dem weichen blonden Haar, der zerlöcherten Wollweste und den schmutzigen Gummistiefeln mir zugerufen hätte: »Morgen, Mr. Herriot! Wie geht’s, wie steht’s?«
    »Es tut mir entsetzlich leid, mein lieber Herriot, aber ich fürchte sehr, wir sind noch nicht ganz so weit, wie es wünschenswert wäre.« Und dann machte er sich mit seinem Tabaksbeutel zu schaffen.
    William George Henry Augustus, der elfte Marquis von Hulton, hatte stets die Pfeife im Mund, und immer war er gerade dabei, sie zu stopfen, sie mit dem Pfeifenreiniger auszukratzen oder sie anzuzünden, was ihm nie gelang. Ich habe ihn nie rauchen gesehen. Und wenn er nervös war, stopfte und kratzte er gleichzeitig und versuchte dabei noch, die Pfeife anzuzünden. Es war ihm offensichtlich peinlich, daß er so schlecht auf meinen Besuch vorbereitet war, und als er sah, daß ich ganz unwillkürlich auf die Uhr schaute, wurde er noch nervöser, nahm die Pfeife aus dem Mund, steckte sie wieder zwischen die Zähne, klemmte den Hammer unter den Arm und fummelte in einer großen Streichholzschachtel herum.
    Ich blickte auf den Hügelhang hinter dem Farmgebäude, und ganz hinten am Horizont erkannte ich geschäftiges Treiben. Rinder galoppierten voraus, Männer rannten hinterdrein, und ich hörte Hundegebell, gereiztes Muhen und Rufe wie: »Heh hoh!« – »Hierher, ihr Biester!« – »Kusch!«
    Ich seufzte. Immer die alte Geschichte. Selbst die Aristokratie von Yorkshire schien sich den landläufigen Zeitbegriffen angepaßt zu haben.
    Seine Lordschaft hatte meine Gedanken erraten, und seine Verlegenheit wuchs.
    »Mein lieber Herriot, es ist mir wirklich äußerst peinlich«, sagte er. Ein paar Streichhölzer fielen zu Boden. »Ich hatte Ihnen ja versprochen, daß um neun Uhr dreißig alles bereit für sie ist, aber die verwünschten Tiere lassen mich im Stich.«
    Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Ach, Lord Hulton, so schlimm ist das nicht. Es sieht so aus, als ob sie jetzt den Hügel herunterkommen. Außerdem habe ich heute morgen keinen dringenden Fall!«
    »Das trifft sich ja ausgezeichnet!« Er bemühte sich, den aus der Pfeife ragenden Tabak anzuzünden, eine schwache Rauchwolke stieg auf, dann fiel der Tabak heraus. »Schauen Sie sich das hier an! Ich habe einen Pferch zusammengebastelt. Wir treiben sie hier hinein, und dann entkommen sie uns nicht mehr. Erinnern Sie sich an letztes Mal? Das war ein bißchen mühsam, nicht wahr?«
    Ich nickte. Und ob ich mich erinnerte. Lord Hulton hatte nur etwa dreißig Milchkühe, aber es hatte ein dreistündiges Rodeo gegeben, bis wir sie alle testen konnten. Ich blickte skeptisch auf den wackligen Pferch aus Brettern und Wellblech. Ob er den kräftigen Kühen gewachsen war? Es versprach jedenfalls spannend zu werden.
    Ohne mir etwas dabei zu denken, schaute ich wieder auf die Uhr, und der kleine Mann zuckte zusammen, als wenn ihn ein Schlag getroffen hätte.
    »Verdammt noch mal!« explodierte er. »Was geht da oben eigentlich vor? Hören Sie, Herriot – ich gehe hinauf und beteilige mich an der Jagd.« Zerstreut nahm er Hammer, Tabaksbeutel, Pfeife und Streichholzschachtel von einer Hand in die andere, ließ alles fallen, hob es wieder auf und entschloß sich endlich, den Hammer hinzulegen und sich den Rest in die Taschen zu stecken. Er

Weitere Kostenlose Bücher