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Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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»Ach, das ist ja klar. Vor vierzehn Tagen habe ich den Kälbern die Hörner gebeizt.«
    »Und was haben Sie dazu benutzt, Mr. Billings?« Die Stimme meines Kollegen war leise.
    »Ach, so’n neues Zeug. Hat mir jemand verkauft. Braucht man bloß draufschmieren – viel Einfacher als mit dem Ätzstift.«
    »Haben Sie noch die Flasche?«
    »Ja, sie ist im Haus drüben. Ich hol sie mal.«
    Als der Farmer zurückkam, sah Siegfried sich das Etikett an und reichte mir dann die Flasche.
    »Antimontinktur, Jim. Jetzt haben wir’s.«
    »Aber... was wollen Sie damit sagen?« fragte der Farmer verblüfft.
    Siegfried sah ihn mitleidig an. »Antimon ist ein tödliches Gift, Mr. Billings. Natürlich beizt es die Hörner ab, aber wenn es ins Futter gerät, ist es aus.«
    Der Farmer machte große Augen. »Verdammt noch mal, das stimmt, und wenn sie die Köpfe zum Trinken beugen, dann fallen ihnen die Hornhautstücke in die Milch!«
    »Genau«, sagte Siegfried. »Oder sie brauchen sich nur die Hörner an den Trögen zu stoßen. Jetzt wollen wir aber zuerst mal nachsehen, ob die anderen in Sicherheit sind.«
    Wir gingen zu allen Kälbern, entfernten die tödlichen Krusten und scheuerten ihnen die Hörner sauber, und als wir uns endlich verabschiedeten, wußten wir, daß die kurze, aber schmerzliche Episode in Billings’ Kälberstall endgültig vorüber war.
    Auf dem Rückweg hielt mein Kollege seinen Ellenbogen auf dem Steuerrad und stützte das Kinn in seine Hand. Das tat er oft, wenn er in nachdenklicher Laune war, und es ging mir stets empfindlich auf die Nerven.
    »James«, sagte er. »So etwas habe ich noch nie erlebt. Dieser Fall könnte Geschichte machen.«
    Das waren prophetische Worte, und heute, fünfunddreißig Jahre später, muß ich feststellen, daß sich etwas Derartiges nie wieder ereignet hat.
    Nach unserer Rückkehr zum Skeldale House trennten sich unsere Wege. Tristan war offensichtlich bemüht, den explosiven Tagesbeginn wieder gutzumachen, und schrubbte den Korridor mit dem Fleiß eines Matrosen der Kriegsmarine.
    Aber sowie Siegfried das Haus wieder verlassen hatte, hörten seine Aktivitäten schlagartig auf, und als ich mir gerade die Taschen mit dem für meine Visiten nötigen Kram vollstopfte, sah ich den jungen Mann im Wohnzimmer auf seinem Lieblingssessel ausgestreckt.
    Was mich jedoch noch mehr erstaunte, war eine Bratpfanne mit Würsten, die auf den glühenden Kohlen im Kamin stand.
    »Was ist das?« fragte ich.
    Tristan zündete sich eine Zigarette an, ließ den Daily Mirror zu Boden gleiten und legte die Füße auf einen Stuhl. »Das Mittagessen. Was denn sonst, alter Knabe?«
    »Hier im Wohnzimmer?«
    »Ja, Jim, ich habe genug von dem heißen Herd – und in der Küche ist es ungemütlich.«
    Ich starrte auf den Pfanneninhalt. »Man braucht wohl nicht erst zu fragen, was es heute gibt?«
    »Nein, das braucht man nicht, alter Freund.« Tristan lächelte mich engelhaft an.
    Im Gehen kam mir blitzartig ein Gedanke. »Wo sind die Kartoffeln?«
    »Im Feuer.«
    »Im Feuer?«
    »Ja, ich hab sie ins Feuer geworfen, damit sie richtig rösten. Dann schmecken sie wunderbar.«
    »Bist du sicher?«
    »Absolut sicher, Jim. Ich verspreche dir – du wirst meine Kochkünste noch sehr bewundern.«
    Ich war erst gegen eins wieder zurück. Tristan war nicht im Wohnzimmer, aber eine Rauchwolke und der beizende Duft eines Herbstfeuers im Garten schlugen mir entgegen.
    Ich fand den jungen Mann in der Küche. Er stocherte verzweifelt in einem Haufen kohlschwarzer Kugeln herum.
    Ich starrte ihn an. »Was ist das da?«
    »Die verdammten Kartoffeln, Jim. Ich bin ein bißchen eingeschlafen, und schon war es zu spät!«
    Er schnitt eine der Kugeln auf, und in ihrer Mitte sah ich einen weißen Kern in der Größe einer Murmel.
    »Um Himmels willen, Tristan! Was machst du jetzt?«
    Er sah mich leidend an. »Das Innere rausschälen und dann Brei draus machen. Mehr kann ich nicht tun.«
    Ich wollte es mir nicht mit ansehen, ging hinauf, um mich zu waschen, und als ich bei Tisch erschien, saß Siegfried schon auf seinem Platz. Der kleine Triumph am Vormittag hatte ihm wohl getan. Er begrüßte mich jovial.
    »James, war das nicht einfach toll bei Ken Billings? Ich bin so froh, den Fall aufgeklärt zu haben.«
    Aber sein Lächeln erlosch, als Tristan erschien und die Schüsseln abstellte. Die eine enthielt die unvermeidlichen Würste, und in der anderen befand sich eine undefinierbare graue Masse mit schwarzen Punkten verschiedener

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