Der Tierarzt kommt
Magengegend.
Ich legte gerade das Thermometer in das Futteral zurück, als das Kalb plötzlich Krämpfe bekam. Ich gab ihm schnell ein Beruhigungsmittel, Kalzium und Magnesium, aber ohne viel Hoffnung. Das hatte ich alles schon vorher versucht.
»Was zum Teufel ist es denn?« fragte der Farmer.
Ich zuckte mit den Schultern. »Akute Magenentzündung, Mr. Billings, aber wenn ich nur die Ursache wüßte! Ich könnte schwören, daß das Kalb irgendein Gift gefressen hat.«
»Aber die haben doch nur Milch und ein paar Nüsse bekommen.« Der Farmer breitete die Arme aus. »Hier gibt’s nichts, was ihnen schaden könnte.«
Jetzt durchsuchte ich noch einmal gründlich den Kälberstall. Vielleicht fand ich hier einen Hinweis. Ein alter Farbtopf, ein Sack mit Desinfektionsmitteln. Erstaunlich, was man alles im Stall finden kann.
Aber nicht bei Mr. Billings. Er war von pedantischer Sauberkeit, besonders mit seinen Kälbern, und nirgends lagen Abfälle herum. Auch die Milcheimer wurden jedesmal gründlich ausgeschrubbt.
Mr. Billings hing ganz besonders an seinen Kälbern. Seine beiden halbwüchsigen Söhne halfen gern bei der Arbeit, und er überließ ihnen alle möglichen Aufgaben, aber die Kälber betreute er selbst.
»Das Kälberfüttern ist das Allerwichtigste bei der ganzen Viehzucht«, pflegte er zu sagen. »Hat man sie mal über den ersten Monat gebracht, dann ist die Schlacht schon halb gewonnen.«
Und er wußte, wovon er sprach. Seine Tiere litten nie an den sonst normalen Kälberkrankheiten wie Kälberruhr, Gelenkentzündung oder Kälberpneunomie. Oft genug hatte ich ihn deshalb bewundert, aber das machte die jetzige Katastrophe nur noch schlimmer.
»Das wär’s also für heute«, verabschiedete ich mich mit gespielter Zuversicht. »Vielleicht kommt das hier durch. Rufen Sie mich morgen früh an.«
Beim Mittagessen war ich noch so mit meinen Gedanken beschäftigt, daß ich Mrs. Halls Abwesenheit völlig vergessen hatte und mich nur wunderte, warum Tristan das Essen servierte.
Immerhin war die Wurst mit Kartoffelbrei gar nicht schlecht, und Tristan teilte großzügig aus. Wir drei aßen dann auch unsere Teller leer, denn der Vormittag ist in unserem Beruf am anstrengendsten, und um die Mittagszeit habe ich meistens einen Mordshunger.
Auch während der Nachmittagsvisiten grübelte ich über Mr. Billings’ Problem nach, und als wir uns am Abend zu Tisch setzten, war ich nicht sonderlich überrascht, daß es wieder Wurst mit Kartoffelbrei gab.
»Schon wieder, was?« brummte Siegfried, aß jedoch seine Portion ohne weiteren Kommentar.
Der folgende Tag fing schlimm an. Als ich ins Eßzimmer trat, war der Tisch nicht gedeckt, und Siegfried stampfte ungeduldig herum.
»Wo zum Kuckuck ist das Frühstück?« platzte er los. »Und wo zum Kuckuck steckt Tristan?«
Er ging in den Flur hinaus, und ich hörte seine Rufe aus der Küche. »Tristan! Tristan!«
Er vergeudete nur seine Zeit. Sein Bruder verschlief oft, und heute war es nur ein bißchen auffälliger.
Mein Chef kam im wütenden Laufschritt zurück, und ich war schon auf einigen Ärger gefaßt, als er sich dranmachte, den jungen Mann aus dem Bett zu holen. Aber Tristan meisterte einmal wieder die Situation. Als Siegfried drei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinaufeilte, kam sein Bruder ihm entgegen und band sich lässig und gefaßt die Krawatte. Es war unheimlich.
»Tut mir leid«, brummte er. »Hab leider verschlafen.«
»Schon gut«, rief Siegfried. »Aber wie steht’s mit unserem verdammten Frühstück? Ich habe dich ausdrücklich damit beauftragt.«
Tristan machte ein reuevolles Gesicht. »Ich bitte wirklich um Verzeihung, aber ich bin gestern abend lange auf gewesen – beim Kartoffelschälen.«
Sein Bruder lief rot an. »Ich weiß!« bellte er. »Du hast damit erst angefangen, als es im Drovers’ nichts mehr zu trinken gab!«
»Allerdings.« Tristan schluckte, und sein Gesicht nahm den Ausdruck gekränkter Würde an. »Gestern abend hatte ich eine ganz trockene Kehle. Das muß von all dem Staub beim Saubermachen kommen.«
Siegfried antwortete nicht. Er warf dem jungen Mann nur einen vernichtenden Blick zu und wandte sich dann an mich. »James, wir werden uns heute früh mit Brot und Marmelade begnügen müssen. Kommen Sie in die Küche, und wir...«
Das Klingeln des Telefons unterbrach ihn. Ich nahm den Hörer ab, und ich muß ein komisches Gesicht gemacht haben, denn er drehte sich in der Tür um.
»Was ist eigentlich los mit
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