Der Tierarzt kommt
Augenblick den Kopf, und dann sah er mich an. »Das bedeutet also, daß er für den Rest seines Lebens ziemlich übel dran sein wird.« Er schluckte. »Und wie lange wird das noch dauern?«
»Ein paar Wochen. Es kommt drauf an. Vielleicht noch drei Monate.«
Er strich sich das Haar zurück. »Also Jim, das kann ich natürlich nicht zulassen. Sie müssen ihn jetzt einschläfern, bevor er wirklich leiden muß. Ist das nicht auch Ihre Meinung?«
»Ja, Paul, das würde ihm viel ersparen.«
»Würden Sie es jetzt gleich tun – sobald ich aus dem Zimmer bin?«
»Ja«, erwiderte ich. »Und ich verspreche Ihnen, daß er nichts spüren wird.«
Sein Gesicht nahm einen seltsamen, starren Ausdruck an. Er steckte die Pfeife in den Mund, aber da sie ausgegangen war, stopfte er sie in die Tasche. Dann beugte er sich über den Tisch und streichelte seinem Hund den Kopf. Das zottlige Gesicht wandte sich ihm zu, und einen Augenblick lang sahen Herr und Hund sich an.
Dann murmelte er: »Adieu, alter Junge« und ging schnell aus dem Zimmer.
»Guter Theo, guter Hund«, sagte ich leise und streichelte ihm das Gesicht, während er sanft einschlief. Wie immer tat ich es widerwillig, obgleich ich wußte, daß es absolut schmerzlos war. Der einzige Trost war mir, daß die hilflosen Tiere wenigstens zuletzt noch eine freundliche Stimme und eine zärtliche Hand spürten.
Vielleicht bin ich sentimental. Und nicht wie Paul. Er hatte ganz praktisch und vernünftig gehandelt. Er war fähig, das Richtige zu tun, weil er sich nicht von seinen Gefühlen beherrschen ließ.
Später, beim Mittagessen, erzählte ich Helen von Theo.
Ich mußte es ihr sagen, denn sie hatte einen köstlichen Schmorbraten zubereitet, und ich hatte kaum Appetit.
»Weißt du, Helen«, sagte ich, »es war mir eine Lehre. Ich meine Pauls Haltung. Ich an seiner Stelle hätte gejammert und gezögert – ich hätte versucht, das Unvermeidliche hinauszuschieben.«
Sie dachte nach. »Das hätten eine Menge Leute getan.«
»Ja, aber er nicht.« Ich legte Messer und Gabel nieder und blickte die Wand an. »Er hat wie ein wirklich reifer Mensch gehandelt. Paul gehört zu den Leuten, von denen man manchmal liest. Jeder Lage gewachsen, kühl und überlegen.«
»Nun komm schon, Jim, und iß deinen Braten. Ich weiß, es war traurig, aber du mußtest es tun, und jetzt sei bitte nicht so unzufrieden mit dir. Paul ist Paul, und du bist du.«
Ich kaute am Fleisch, aber immer noch hatte ich dieses Gefühl von Unterlegenheit. Und dann blickte ich auf und sah, daß Helen lächelte.
Das beruhigte mich. Ihr wenigstens machte es nichts aus, daß ich so war, wie ich bin.
Am Dienstagmorgen besuchte ich Mr. Sangster, der ein paar Milchkühe in der Nähe des Bahnhofs hatte.
»Schlimm, die Sache mit Paul Cotterell, was?« sagte er.
»Wie bitte?«
»Ach, ich dachte, Sie wüßten es schon. Er ist tot.«
»Tot? Aber wieso denn...«
»Man hat ihn heute früh gefunden. Hat sich umgebracht.«
Ich mußte mich stützen. »Selbstmord?«
»Ja. Hat ‘ne Menge Pillen genommen. Die ganze Stadt redet davon.«
Ich war so benommen, daß die Stimme des Farmers wie aus weiter Ferne zu kommen schien.
»Wirklich jammerschade. War so ‘n netter Mensch. Alle haben ihn gern gemocht.«
Später kam ich an Pauls Wohnung vorbei und sah seine Vermieterin, Mrs. Clayton, in der Tür stehen. Ich hielt an und stieg aus.
»Mrs. Clayton«, sagte ich, »ich kann es immer noch nicht glauben.«
»Ich auch nicht, Mr. Herriot. Es ist schrecklich.« Ihr Gesicht war bleich und ihre Augen rot. »Sechs Jahre lang hat er bei mir gewohnt – er war wie mein eigener Sohn.«
»Aber warum nur...«
»Ach, er hat einfach den Verlust seines Hundes nicht verschmerzen können.«
Ich fühlte mich plötzlich furchtbar elend, und sie legte mir die Hand auf den Arm.
»Schauen Sie nicht so drein, Mr. Herriot. Es war nicht Ihre Schuld. Paul hat mir alles erzählt, und niemand hätte Theo retten können.«
Ich nickte stumm, und sie fuhr fort: »Aber unter uns gesagt, Mr. Herriot, Paul konnte so was einfach nicht ertragen, so wie Sie oder ich. Er war nun mal so – Sie müssen wissen, er hat Depressionen gehabt.«
»Depressionen? Paul?«
»Ja, ja. Er war lange in ärztlicher Behandlung und hat regelmäßig Medikamente genommen. Er hat sich äußerlich nie was anmerken lassen, aber er war seit Jahren schwer nervenkrank.«
»Nervenkrank... Ich hätte nie geglaubt...«
»Nein, niemand hätte das geglaubt, aber so war er nun
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