Der Tierarzt kommt
Ihnen gebracht.«
»Das war sehr nett von dir«, sagte ich. »Hast du eine Ahnung, wem er gehören könnte?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Nein. Sieht wie ein Streuner aus.«
»Das kann man wohl sagen.« Ich blickte von der entsetzlichen Wunde weg. »Du bist doch Marjorie Simpson?«
»Ja.«
»Ich kenne deinen Vater gut. Er ist unser Briefträger.«
»Stimmt.« Sie versuchte zu lächeln, aber ihre Lippen zitterten. »Ich lasse ihn am besten bei Ihnen. Sie machen Schluß mit ihm. Sonst ist da wohl nichts mehr zu tun...?«
Ich schüttelte den Kopf. Die Augen des Mädchens füllten sich mit Tränen. Sie berührte noch einmal das magere Tier und ging schnell aus dem Zimmer.
»Nochmals vielen Dank, Marjorie«, rief ich ihr nach. »Und sei beruhigt – wir kümmern uns um den Kater.«
Schweigend sahen wir uns das so übel zugerichtete Tier an. Unter der hellen Lampe war es nur zu leicht zu erkennen. Die heraushängenden Gedärme waren mit Schmutz und Sand beschmiert.
»Wie kann das passiert sein?« fragte Tristan schließlich. »Ist er überfahren worden?«
»Vielleicht«, antwortete ich. »Oder ein großer Hund, oder jemand hat ihn getreten oder geschlagen.« Bei Katzen muß man auf alles gefaßt sein, denn manche Leute scheinen sie für Freiwild zu halten, an dem man seine Grausamkeit austoben kann.
Tristan nickte. »Was auch immer, am Verhungern war er jedenfalls auch. Wahrscheinlich ist er meilenweit von zu Hause weggelaufen.«
»Da bleibt nur eines übrig«, seufzte ich.
Tristan sagte nichts, pfiff leise vor sich hin und fuhr dem Tier sanft mit dem Zeigefinger über den Hals. Und da geschah das Unglaubliche: ein leichtes Schnurren ertönte aus der mageren Brust.
Tristan sah mich mit großen Augen an. »Mein Gott, hast du das gehört?«
»Ja... erstaunlich in diesem Zustand. Er ist gutmütig.«
Tristan streichelte den Kater weiter. Ich wußte, wie ihm zumute war, denn obgleich er sich unseren Patienten gegenüber stets kühl und gelassen verhielt, konnte er mir nicht verheimlichen, daß Katzen sein wunder Punkt waren.
»Es nützt nichts, Tris«, sagte ich sanft. »Wir müssen es tun.« Ich griff nach der Spritze, aber etwas in mir sträubte sich. Ich zog ein Stück der Decke über den Kopf des Katers.
»Gieß etwas Äther auf die Decke«, sagte ich. »Er wird einfach einschlafen.«
Tristan öffnete die Flasche und hielt sie über den Kopf des Tieres. Dann hörten wir es wieder: ein tiefes Schnurren.
Tristan war wie versteinert. Er starrte auf das Bündel. Schließlich blickte er auf und schluckte. »Es gefällt mir gar nicht, Jim. Können wir nicht irgend etwas tun?«
»Du meinst, das alles wieder reinstecken?«
»Ja.«
»Aber die Därme sind verletzt – wie ein Sieb.«
»Wir könnten sie doch zusammennähen?«
Ich hob die Decke auf und sah es mir noch einmal an. »Ehrlich, Tris, ich wüßte nicht, wo ich anfangen sollte. Und all der Schmutz.«
Er sagte nichts und blickte mir nur fest in die Augen. Er brauchte mich nicht zu überreden. Auch ich hatte keine Lust, Äther auf das zutraulich schnurrende Tier zu gießen.
»Na schön«, sagte ich. »Versuchen wir’s.«
Wir setzten den Kater unter Narkose und wuschen zuerst die Därme mit warmer Salzlösung aus. Wir wiederholten es mehrere Male, aber es schien unmöglich, all den festgeklebten Schmutz wegzubekommen. Dann begannen wir mit der mühseligen Arbeit, all die Löcher in den Därmen zuzunähen, und ich war froh, daß Tristan mit seinen kleinen, geschickten Händen die winzige Nadel viel besser als ich zu fassen kriegte.
Nach zwei Stunden streuten wir Sulfonamid auf die Oberfläche des Bauchfelles und schoben die ganze Masse in den Leib zurück. Als ich das Muskelgewebe und die Haut zugenäht hatte, sah alles recht ordentlich aus, aber ich hatte das unangenehme Gefühl, vieles außer acht gelassen zu haben. Eine Bauchfellentzündung war so gut wie unvermeidlich.
»Jedenfalls lebt er, Tris«, sagte ich, als wir die Instrumente auswuschen. »Wir halten ihn unter Sulfapyridin, und dann können wir nur die Daumen drücken.« Es gab damals noch keine Antibiotika, aber die neue Droge war schon ein großer Fortschritt.
Die Tür ging auf, und Helen kam herein. »Du hast lange gebraucht, Jim.« Sie trat an den Tisch und blickte auf den schlafenden Kater. »Das arme, magere Ding. Nur Haut und Knochen.«
»Sie hätten ihn sehen sollen, als er ankam.« Tristan stellte den Sterilisator ab. »Er sieht schon viel besser aus.«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher