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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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hinzuweisen, Herr Winterhalter, dass es sehr wohl meine Sache ist. Ich trage Sorge für alles, was Mr Lees persönliche Bedürfnisse betrifft. Wenn die Kleine zu seinem Haushalt gehören und in ein … wie soll ich sagen … näheres Verhältnis zu ihm treten soll, dann ist es meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie nicht zum Beispiel an Hunger oder Verwahrlosung stirbt.«
    »Selbstverständlich wird sie zu essen bekommen. Seien Sie nicht albern.«
    »Und von wem?«
    »Von irgendjemandem aus der Dienerschaft. Das spielt doch keine Rolle. Die Erziehung des Mädchens wird in meinen Händen liegen.«
    Sally konnte kaum atmen. Die Männer redeten von Harriet …
    »Zweifellos kennen Sie sich am besten damit aus, Herr Winterhalter«, bemerkte Michelet schmeichlerisch.
    »So ist es in der Tat. Damit müssen Sie sich nicht weiter befassen, das fällt nicht in Ihren Bereich.«
    »Die Sorge um Mr Lee ist mein Bereich.«
    »Und die Haushaltsführung ist der meinige.«
    »Über den Affen habe ich zu bestimmen. Niemand außer mir kann mit ihm umgehen. Das Kind steht daher ebenfalls mir zu.«
    »Ihnen?« Das Wort war mit höchster Verachtung ausgesprochen worden.
    Sally packte das blanke Entsetzen.
    Hier wurde über etwas verhandelt – darüber, wer die Verfügungsgewalt über ihre Tochter bekam! Worum es im Einzelnen ging, daran wagte sie nicht zu denken.
    »Ja, mir. Wenn die Kleine den Affen ersetzen soll – wenn sie den Meister füttern, ihm den Mund abwischen, ihn waschen soll –, dann liegt das in meiner Zuständigkeit. Dann muss ich sie erziehen und anleiten. Und er wird mir den Rücken stärken.«
    »Glauben Sie das wirklich?«
    »Ich weiß es!«
    »Er hat mir diesbezüglich die Verantwortung übertragen. Da gibt es nichts weiter zu diskutieren. Ich bin allein dafür zuständig.«
    »Davon verstehen Sie überhaupt nichts. Sie verstehen sich auf Korrespondenz, auf Transaktionen, auf Geld. Er will aber keinen Westentaschensekretär; was er möchte, ist ein Ersatz für diesen Affen, wenn er einmal stirbt. Ein liebenswürdiges kleines Wesen, das ihn füttert, säubert, seine Zigaretten hält und ihm auch sonst Freude macht. Ich verstehe mich auf diese Kunst. Sie nicht. Deshalb muss ich das Kind erziehen.«
    »Zu spät, Michelet. Mr Lee selbst wird Ihnen bestätigen, was ich gesagt habe. Die Abrichtung des Kindes liegt in meiner Hand.«
    »Unmöglich!«
    »Gewiss doch.«
    »Es würde unter Ihren Ansprüchen zerbrechen.«
    »Diese Dinge sind mit wissenschaftlichen Methoden zu berechnen. Das erforderliche Maß an Schmerz, Strafe und Belohnung ist bekannt und kann genau bestimmt werden. Hierzu liegen Tabellen und Diagramme vor. Im Gegensatz zu Ihnen überlasse ich nichts dem Zufall, dem Instinkt, der sentimentalen Anwandlung oder dergleichen. Und übrigens, Michelet: Was war es noch gleich, weswegen Sie drei Jahre im Gefängnis saßen?«
    Stille.
    »Ich glaube, Kinder spielten eine Rolle, oder?«, bohrte der Sekretär weiter. »Auf jeden Fall erscheint es kaum wünschenswert, dass ausgerechnet Sie die Verantwortung für ein Kind erhalten. So, ich glaube, wir verstehen uns. Würden Sie mich wohl noch einen Blick in den anderen Raum werfen lassen?«
    Der Lichtkegel bewegte sich auf die Tür zu und drang bis auf wenige Zentimeter zu Sally vor. Sie hielt die Luft an.
    »Soll das einmal das Schlafzimmer des Kindes werden?«, fragte Michelet, nun mit ruhiger Stimme.
    »Möglich.« Der Sekretär schnüffelte. »Merkwürdig. Hier riecht es nach Kerzenrauch.«
    Er ging ein paar Schritte in den Raum hinein. Sally konnte ihn deutlich sehen. Wenn er sich jetzt umdrehte, würde er sie entdecken …
    Er berührte die Wand, betrachtete seine Finger, wischte sie an einem Taschentuch ab und kehrte wieder um.
    Sally erstarrte, das Gesicht im Schatten der Kapuze.
    »Die Farbe ist noch nicht ganz trocken. Die Türen müssen offen bleiben, bis der Geruch verflogen ist. Geben Sie mir bitte den Schlüssel.«
    Schlüsselgeklimper, ein paar Augenblicke später das Geräusch der Aufzugstür. Ein leises Zischen der Hydraulik, dann verschwand das Licht und der Aufzug setzte sich in Bewegung.
    Sally spürte, wie ihr der Schweiß den Rücken hinunterlief. Sie hätte sich gern an die Wand gelehnt, wagte es aber nicht, wegen der frischen Farbe. Stattdessen ließ sie sich auf die Knie sinken und legte die Stirn auf den kühlen Fußboden, bis das Zittern aufgehört hatte.
    Denk später darüber nach, sagte sie zu sich. Jetzt musst du zurück ins Bett.
    Sie

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