Der Tiger im Brunnen
hatte, ging Sally ins Pfarrhaus zurück. Die Haushälterin führte sie in das Arbeitszimmer, wo sie von Mr Murray empfangen wurde. Er war ein hochgewachsener schlanker Mann mittleren Alters und mit strenger Miene.
»Ich wollte fragen, ob ich nicht einen Blick in das Kirchenregister werfen könnte«, bat Sally.
»Ihnen ist klar, dass unsere Bücher nur bis in das Jahr 1832 zurückreichen?«, sagte Mr Murray. »Wenn Sie Ahnenforschung betreiben wollen, kommen Sie hier nicht auf Ihre Kosten.«
»Ich möchte nur das Heiratsregister einsehen«, stellte Sally klar. »Für 1879. Was ist das eigentlich für eine Gemeinde? Ist es ruhig hier?«
»Sehr unterschiedlich. Wir sind nur eine kleine Gemeinde – zu klein. Hier herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Die Menschen sind heutzutage rastlos, sie bleiben nicht an dem Ort, an dem sie geboren wurden. In meiner letzten Pfarrstelle auf dem Land war das anders. Wenn ich durch das Dorf ging, kannte ich von jedem, der mir begegnete, den Namen und die seiner Angehörigen und wusste dazu eine Menge über ihn zu berichten. Hier dagegen könnte ich den ganzen Tag die Straßen auf und ab gehen und würde doch kaum einem bekannten Gesicht begegnen.«
»Ihr Vorgänger, Mr Beech, ist er versetzt worden?«
Kurzes Schweigen. »Warum fragen Sie danach?«, wollte der Pfarrer wissen.
»Ich komme wegen einer Trauung, die 1879 stattgefunden hat. Sofern sie im Heiratsregister steht, wollte ich ihn fragen, ob er sich an sie erinnert.«
»Ich verstehe. Ja also, er ist mittlerweile im Ruhestand. Aber ich fürchte, ich kann Ihnen seine Adresse nicht geben.«
»Sie können nicht?«
»Ich kenne sie nicht«, sagte er knapp. »Wenn Sie einen Blick in das Heiratsregister werfen wollen, müssen Sie mit in die Kirche kommen.«
Er stand auf und öffnete die Tür, Sally folgte ihm. Sie gingen aus dem Pfarrhaus, durchquerten einen verwilderten Garten und kamen zu einem Seiteneingang der Kirche. Sie traten ein.
Die Sakristei lag im grauen Nachmittagslicht, in der Luft hing ein muffiger Geruch. Mr Murray nahm einen Stapel Bücher aus einem Schrank und breitete sie vor Sally auf einem Tisch aus.
»Das ist das Heiratsregister, das Sie suchen«, sagte er und zeigte auf ein großes grünes Buch. »Es ist seit 1832 in Gebrauch. Jede Trauung, die in dieser Kirchengemeinde stattgefunden hat, ist hier verzeichnet. Nach welchem Datum suchen Sie?«
»1879«, sagte sie. »Januar. Finden hier viele Trauungen statt?«
»Zwei bis drei im Vierteljahr. Also nicht gerade viele. So, hier haben wir es.«
Er reichte ihr das aufgeschlagene Buch. Auf jeder Seite fanden sich verschiedene Rubriken. Sie boten genügend Raum für Angaben zu den einzelnen Eheschließungen. Der ersten Eintragung auf dieser Seite entnahm Sally, dass der Bräutigam nicht schreiben konnte, denn er hatte mit einem krakeligen X unterzeichnet. Um die Schreibkünste seiner Braut war es nicht viel besser bestellt.
Dann fiel ihr Blick auf den zweiten Eintrag und da stand ihr Name!
Am 3. Januar 1879 hatte Arthur James Parrish mit Veronica Beatrice Lockhart die Ehe geschlossen. Sally rang nach Luft, fasste sich aber schnell wieder und las weiter. Das Alter von Bräutigam und Braut war lediglich mit »volljährig« angegeben, doch das war so üblich, wie sie aus den anderen Einträgen entnahm. Unter Dienstgrad oder Berufstand bei Arthur Parrish »Kommissionär«. Die Eheleute stammten offenkundig aus dem Kirchensprengel von Southam. Unter der Rubrik Name und Vorname des Vaters hatte man bei ihr eine Linie gezogen, ebenso bei derjenigen zum Dienstgrad oder Beruf des Vaters. Sein Vater hieß James John Parrish und war von Beruf Büroangestellter.
»Ist hier keine Adresse angegeben?«, erkundigte sie sich. »Auch nicht die der Trauzeugen?«
»Nein, das wird nicht festgehalten.«
»Die Trauzeugen könnten also von überall her gekommen sein. Kennen Sie ihre Namen?«
Als Zeugen waren Edward William Sims und Emily Franklin angegeben. Der Pfarrer warf einen Blick auf das Blatt und schüttelte den Kopf.
Doch an Sallys Handschrift bestand kein Zweifel. Das war eindeutig ihre Unterschrift oder zumindest eine ungewöhnlich gute Fälschung. Irgendjemand musste sich eine amtliche Urkunde beschafft haben, denn gewöhnlich unterschrieb sie mit Sally. Aber hier stand ihr V, ihr B und dann, rasch hingeworfen, ihr Nachname Lockhart. Alles Übrige, außer Parrishs Unterschrift, stammte von der Hand Mr Beechs.
»Könnte ein solcher Eintrag auf irgendeine Weise
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