Der Tiger im Brunnen
frisiert werden?«, fragte sie.
»Frisiert?«
»Ich meine, gefälscht. Hätte jemand irgendwann in der Vergangenheit einen falschen Eintrag machen können?«
»Das scheint mir ausgeschlossen. Schließlich folgt ein Eintrag auf den anderen und jeder muss am Tag der Eheschließung vorgenommen werden. Außerdem sind alle nummeriert. Dieser hier hat zum Beispiel die Nummer 203. Die Nummer 204 folgte – einen Augenblick – im März desselben Jahres. Nein, da kann nichts außer der Reihe eingetragen werden, wenn Sie das meinen. Wer eine falsche Eingabe für 1879 hätte machen wollen, hätte das zu jener Zeit machen müssen.«
»Gibt es noch andere Verzeichnisse?«
»Ich muss der hiesigen Meldebehörde alle drei Monate die Eheschließungen mitteilen, die stattgefunden haben. Dazu verwende ich solch ein Formular« – er zeigte ihr einen Zettel – »mit allen Angaben aus dem Heiratsregister. Was dort damit geschieht, weiß ich offen gestanden nicht genau. Manchmal wird wegen eines ausgelassenen Wortes oder eines unleserlichen Namens nachgefragt, also muss es irgendein Beamter überprüfen. Vermutlich geht alles nach Somerset House.«
Somerset House war der Ort in London, wo das allgemeine Personenstandsregister geführt wurde. Dort würde Sally ebenfalls noch vorsprechen müssen, aber sie wusste schon, was sie erwartete.
»Ich verstehe«, sagte sie. »Auf jeden Fall vielen Dank, Herr Pfarrer. Ich schreibe mir nur noch rasch diesen Eintrag ab, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Sie übertrug die Angaben vollständig in ihr Notizbuch; es dauerte nicht lange. Der Pfarrer wartete, bis sie fertig war, dann schloss er die Bücher wieder sorgfältig weg.
»Ihr Vorgänger, Mr Beech«, bohrte Sally noch einmal, »gibt es vielleicht jemanden in der Gemeinde, der wissen könnte, wohin er gegangen ist? Vielleicht die Bediensteten?« Die Frage war ihm sichtlich unangenehm und er sah sie mit gefrorener Miene an.
»Die Pfarrhausangestellten sind alle, wie soll ich sagen, alle neu«, erläuterte er. »Die frühere Haushälterin ist gegangen, bevor ich die Pfarrei übernommen habe. Mr Beech hielt sich keine Kutsche, daher hatte er auch keinen Stallburschen. Die einzige Angestellte, die er hatte, musste ich kurz nach meinem Antritt hier entlassen. Ich weiß nicht, wohin sie gegangen ist.«
»Und die Kirchenvorsteher? Gibt es wirklich niemanden, der mir sagen könnte, wo er sich jetzt aufhält? Zumindest der Bischof müsste es doch wissen, oder?«
»Ich … ganz offen, Miss Lockhart, in der Pfarrei lag vieles im Argen, als ich hierherkam. Mr Beech ging es schon eine ganze Weile gesundheitlich nicht gut. Ganz gleich, was ihre Nachforschungen erbringen – und ganz gleich, wo er sich jetzt aufhalten mag –, ich halte es für unwahrscheinlich, dass er ihnen hilfreich sein könnte.«
»Ah, ich verstehe«, sagte Sally. »Sie wollen damit andeuten, dass er immer noch nicht gesund ist. Mr Murray, der Grund, weshalb ich so hartnäckig frage, könnte ernster nicht sein. Es geht mir wirklich nicht darum, Mr Beech zu verfolgen, aber wenn ich mit ihm sprechen könnte – «
»Miss Lockhart, ich weiß nicht, wo er sich aufhält, und ich bezweifle, dass sonst irgendjemand in der Pfarrei es weiß. Was den Bischof betrifft«, er zuckte mit den Achseln, »fragen können Sie auf jeden Fall. Wollen Sie andeuten«, und dabei schaute er zu dem Schrank, in den er die Bücher zurückgestellt hatte, »dass die Bücher nicht korrekt geführt worden sind? Ihre Fragen bezüglich möglicher Fälschungen – das wäre ein schwerwiegender Vorwurf.«
»Da stimme ich Ihnen zu«, sagte sie. Konnte Sie ihm alles sagen? Vielleicht wusste er mehr, als er zu sagen bereit war, solange er ihre Gründe nicht kannte. Andererseits, konnte sie ihm vertrauen? »Es ist sehr ernst. Ich kann Ihnen jetzt nicht mehr sagen, aber wenn ich Mr Beech finden könnte – er wäre sicher in der Lage, mir zu helfen.«
Der Pfarrer blickte sie mit seinen dunklen Augen, die tief in den Höhlen lagen, fest an. Dann wandte er sich ab und hielt ihr die Tür auf.
Sally stand auf, um zu gehen. Er schloss die Tür der Sakristei hinter ihr, sie gaben sich die Hand und trennten sich wortlos.
Ehe der Zug sie wieder zurück nach London brachte, hatte Sally noch Zeit, einen anderen Versuch zu starten. Sie ging zur Post und fragte nach dem Amtsleiter.
Dieser kam an den Schalter; Sally hätte eine Unterredung unter vier Augen vorgezogen, aber der Mann gab sich ungeduldig. Sie stand hinter
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