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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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vor Unruhe.
    »Miss Lockhart möchte wohl ihre Sorge bekunden, dass – «, sagte er beschwichtigend, doch der Kronanwalt fiel ihm ins Wort.
    »Ihre Lage ist eher kümmerlich«, befand er mit krächzender Stimme. »Ich habe wenig Hoffnung, dass wir vor Gericht Erfolg haben werden. Wenn Sie die Haltung einnehmen, die Sie gerade mir gegenüber angedeutet haben, garantiere ich Ihnen, dass Sie verlieren. Keckheit und Sarkasmus beeindrucken mich nicht und Gleiches gilt für das Gericht. Ihre einzige Chance besteht darin, Stillschweigen zu bewahren und die Fragen, die man Ihnen stellt, so bündig, schlicht und höflich wie möglich zu beantworten. Im Übrigen sollten Sie sich nicht einbilden, Sie verstünden besser als Ihre Rechtsvertreter, etwas so Schwieriges und Ausgeklügeltes wie eine Verteidigung vor Gericht aufzubauen.«
    Sally verschlug es die Sprache. Sie schloss für einen Moment die Augen, ballte die Fäuste und hörte, wie ihr Gegenüber ein Blatt wendete. Sie merkte auch, wie Mr Adcock in seiner Beklemmung den Oberkörper leise vor und zurück wiegte. Dann atmete sie tief durch und sagte: »Darf ich mir die Frage erlauben, welche Strategie Sie zu meiner Verteidigung anzuwenden gedenken?«
    »Das ist nicht Ihr Problem. Ich kenne die Unterlagen. Das muss Ihnen genügen.«
    »Wenn Sie die Unterlagen gelesen haben, dann muss Ihnen klar sein, dass die Frage, ob ich eine rechtsgültige Ehe mit Parrish eingegangen bin, von zentraler Bedeutung ist. Und wenn – «
    Mr Coleman stand auf, hakte die Daumen in die Taschen seiner Weste und schaute finster auf sie herab.
    »Hier geht es um die Frage der Moral und des Anstands«, dozierte er. »Und glauben Sie ja nicht, dass eine Manipulation des Heiratsregisters und der Unterschrift daran etwas ändert. Sie stehen hier vor mir als eine Frau, die nach eigenem Geständnis ihre Tugend wie eine gemeine Dirne weggeworfen hat und das Kind, das aus dieser unehelichen Verbindung hervorgegangen ist, um die Würde und den Wert eines Vaternamens gebracht hat. Das ist das Bild, das Sie bieten: eine lasterhafte, gierige, charakterschwache und niedrig denkende Frau. Oh, versuchen Sie nicht zu widersprechen. Die einzige Chance, die Ihnen noch bleibt, das Kind zu behalten, besteht darin, mir zu erlauben, das Gericht von Ihrer tiefen Zerknirschung zu überzeugen. Dass Sie tiefe Scham fühlen. Dass Sie bitter bereuen, ihre Familie im Stich gelassen zu haben. Sie sollten stillschweigen und vielleicht ein bisschen weinen, dann könnte das Gericht unter dem Eindruck meiner Argumente zu der Erkenntnis kommen, dass es im Interesse des unglücklichen Kindes liegt, bei seiner Mutter zu bleiben, statt in die Obhut seines Vaters zu kommen. Ich will nicht, dass Sie mich mit Ihrem Gefasel über angebliche Beweise daran hindern, das Beste aus einer undankbaren Aufgabe zu machen. Das ist ein Prozess und kein Sensationsroman für Damen, die an Langeweile leiden. Sie verstehen rein gar nichts vom Anwaltsgeschäft, das ist nichts für Frauen. Hören Sie also auf, sich mit Dingen zu beschäftigen, die zu hoch für sie sind, und rauben Sie mir nicht meine Zeit mit Ihren Hirngespinsten. Schweigen Sie und spielen Sie die Reumütige, aber überlassen Sie mir die Aufgabe der Verteidigung.«
    Sally saß einige Sekunden lang unbeweglich da, dann lächelte sie milde.
    »Wie viel habe ich Ihnen für diese Erfahrung zu zahlen?«, fragte sie. »Das heißt, wenn ich es mir recht überlege, brauchen Sie mir nicht zu antworten. Gentlemen sprechen nicht über Geld. Sagen Sie mir lieber: Was geschieht mit meinem Kind, wenn ich morgen verliere?«
    »Dann werden Sie aufgefordert, ihn zu dem gerichtlich festgesetzten Zeitpunkt am entsprechenden Ort seinem Vater zu übergeben.«
    Sallys Augen wurden unwillkürlich größer, sie rang nach Luft. Nein, sie konnte sich doch nicht so beherrschen, wie sie gedacht hatte.
    »Und Sie haben tatsächlich alle Unterlagen gelesen, wie Sie behaupten?«, fragte sie mit bebender Stimme.
    »Selbstredend«, gab er verächtlich zurück.
    »Dann haben Sie leider die vielen Erwähnungen übersehen, aus denen hervorgeht, dass es sich bei meinem Kind um ein Mädchen und nicht um einen Jungen handelt«, sagte Sally und stand auf. »Danke, dass Sie so deutlich waren. Ich habe volles Vertrauen, dass Sie vor Gericht genauso reüssieren, wie Sie es hier gerade getan haben. Einen schönen Abend wünsche ich noch.«
    Ohne Mr Adcock noch einmal anzuschauen, drehte sie sich um und ging. Sie hörte noch,

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