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Der Tod auf dem Nil

Der Tod auf dem Nil

Titel: Der Tod auf dem Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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ihr den Pfad hinauf zum Hotel.

Sechstes Kapitel
     
    A m nächsten Morgen lief Simon Doyle hinter Hercule Poirot her, der gerade das Hotel verlassen und in die Stadt gehen wollte.
    «Guten Morgen, Monsieur Poirot.»
    «Guten Morgen, Monsieur Doyle.»
    «Sie gehen in die Stadt? Was dagegen, wenn ich mitschlendere?»
    «Aber nein. Es ist mir ein Vergnügen.»
    Nebeneinander gingen die beiden Männer durch das Tor und in den schattigen Park. Schließlich nahm Simon die Pfeife aus dem Mund. «Soviel ich weiß, Monsieur Poirot, hat meine Frau gestern Abend mit Ihnen gesprochen?»
    «So ist es.»
    Simon runzelte leicht die Stirn. Er gehörte zu der Sorte handfester Männer, denen es schwer fällt, ihre Gedanken in Worte zu fassen und sich prägnant auszudrücken. «Über eins bin ich ja froh», sagte er. «Sie haben ihr klarmachen können, dass wir in dieser Angelegenheit mehr oder weniger machtlos sind.»
    «Es gibt eindeutig keine gesetzliche Handhabe», bestätigte Poirot.
    «Genau. Linnet hatte das nicht einsehen wollen.» Er lächelte andeutungsweise. «Linnet ist in dem Glauben aufgewachsen, dass man mit jedem Ärgernis automatisch zur Polizei laufen kann.»
    «Es wäre erfreulich, wenn es so wäre», sagte Poirot.
    Sie schwiegen eine Zeit lang. Plötzlich sagte Simon mit hochrotem Kopf: «Das ist – das ist niederträchtig, dass man sie so quälen darf! Sie hat doch nichts getan! Wenn mir jemand nachsagen möchte, ich hätte mich benommen wie ein Rüpel, bitte sehr, gern! Das habe ich wohl. Aber ich will nicht, dass Linnet das alles abkriegt. Sie hatte nicht das Geringste mit der Sache zu tun.»
    Poirot senkte ernst den Kopf, sagte aber nichts.
    «Konnten Sie – äh – haben Sie – gesprochen mit Jackie – Miss de Bellefort?»
    «Ja, ich habe mit ihr gesprochen.»
    «Haben Sie sie zur Vernunft gebracht?»
    «Ich fürchte, nein.»
    Simon brauste auf: «Begreift sie denn nicht, wie sie sich blamiert? Weiß sie nicht, dass keine anständige Frau sich je so aufführen würde wie sie? Hat sie denn gar keinen Stolz, keine Selbstachtung?»
    Poirot zuckte die Schultern. «Vor allem hat sie einen Sinn für – Ungerechtigkeit. Wollen wir es so sagen?», erwiderte er dann.
    «Ja, aber verdammt und zugenäht, Mann, anständige Mädchen führen sich nicht so auf! Ich gebe ja zu, dass ich an allem schuld bin. Ich habe sie verdammt schlecht behandelt und so weiter. Ich würde es gut verstehen, wenn sie die Nase gestrichen voll hätte von mir und mich nie wieder sehen wollte. Aber dieses Hinterherfahren – das ist – das ist unanständig! Sich so in Szene zu setzen! Was zum Teufel hofft sie denn damit zu erreichen?»
    «Vielleicht – Rache!»
    «Idiotisch! Ich würde wirklich eher verstehen, wenn sie etwas Melodramatisches anstellen würde – zum Beispiel mir eine Kugel verpassen.»
    «Sie finden, das sähe ihr eher ähnlich – ja?»
    «Offen gesagt, ja. Sie ist heißblütig – und hat ein unbändiges Temperament. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn sie irgendetwas aus schierer Weißglut getan hätte. Aber dieses Hinterherspionieren –» Er schüttelte den Kopf.
    «Das ist subtiler – ja! Es ist schlau!»
    Doyle starrte ihn an. «Sie verstehen wohl nicht. Es ist die Hölle für Linnets Nerven.»
    «Und Ihre Nerven?»
    Doyle sah ihn immer noch an, jetzt verblüfft. «Meine? Ich würde dem kleinen Teufel am liebsten den Hals umdrehen.»
    «Ist denn gar nichts mehr übrig von früheren Gefühlen?»
    «Mein lieber Monsieur Poirot – wie soll ich es sagen? Das ist wie mit dem Mond, wenn die Sonne aufgeht. Sie wissen gar nicht mehr, dass es den auch noch gibt. Als ich Linnet gesehen hatte – hat Jackie nicht mehr existiert.»
    «Tiens, c ’ est drôle, ca!», murmelte Poirot.
    «Wie bitte?»
    «Ihr Vergleich war interessant, sonst nichts.»
    Simon wurde wieder rot. «Jackie hat Ihnen wahrscheinlich erzählt, ich hätte Linnet wegen ihres Geldes geheiratet? Also, das ist eine verdammte Lüge! Ich würde keine Frau wegen Geld heiraten! Jackie versteht eben einfach nicht, dass – ein Mann kann es schwer ertragen, wenn – wenn eine Frau so an ihm hängt wie sie an mir.»
    «So?» Poirot sah ihn scharf an.
    Nichts ahnend tappte Simon weiter in die Falle. «Es – es – klingt rüpelhaft und grob, aber Jackie hat mich einfach zu gern gehabt!»
    «Une qui aime et un qui se laisse aimer», brummte Poirot.
    «Was? Was reden Sie denn da? Es ist doch so, ein Mann hat nicht gern das Gefühl, dass eine Frau ihn mehr liebt als

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