Der Tod auf dem Nil
schauderte. «Mein Gott, glauben Sie, diese verdammten Perlen –?»
«Raub ist ein mögliches Motiv», sagte Poirot. «Trotz allem scheint es aber kaum denkbar… Nun, wir werden sehen. Lassen Sie uns das Dienstmädchen herbitten.»
Louise Bourget war die temperamentvolle, brünette Südländerin, die Poirot eines Abends gesehen und sich gemerkt hatte. Jetzt wirkte sie alles andere als temperamentvoll. Sie sah verweint und verängstigt aus. Aber ihr Gesicht hatte einen gerissenen, schlauen Zug, der die beiden Männer eher gegen sie einnahm.
«Sie sind Louise Bourget?»
«Ja, Monsieur.»
«Wann haben Sie Madame Doyle zuletzt lebend gesehen?»
«Gestern Abend, Monsieur. Ich war in ihrer Kabine, um ihr beim Auskleiden zu helfen.»
«Wie spät war es da?»
«Es war ein bisschen später als elf, Monsieur. Ich kann es nicht genau sagen. Ich helfe Madame beim Auskleiden, bringe sie zu Bett und dann gehe ich wieder.»
«Wie lange hat das insgesamt gedauert?»
«Zehn Minuten, Monsieur. Madame war müde. Sie hat gesagt, ich soll die Lichter ausmachen, wenn ich gehe.»
«Und was taten Sie, als Sie sie verlassen hatten?»
«Ich bin in meine eigene Kabine gegangen, Monsieur, auf dem Unterdeck.»
«Und Sie hörten oder sahen nichts mehr, das uns helfen könnte?»
«Was denn, Monsieur?»
«Das, Mademoiselle, müssen Sie wissen, nicht wir», konterte Hercule Poirot.
Sie sah ihn verstohlen von der Seite an. «Aber, Monsieur, ich war doch gar nicht in der Nähe… Was hätte ich sehen oder hören sollen? Ich war auf dem Unterdeck. Meine Kabine, die ist ja sogar auf der anderen Seite vom Schiff. Ich kann doch unmöglich irgendwas gehört haben. Natürlich, wenn ich nicht hätte schlafen können, wenn ich die Treppe hochgegangen wäre, dann hätte ich den Mörder vielleicht gesehen, dieses Ungeheuer, wie es in Madames Kabine geht oder wieder rauskommt, aber so – » Sie streckte Simon flehend die Hände entgegen. «Monsieur, ich beschwöre Sie – Sie sehen doch, wie es ist. Was kann ich denn sagen?»
«Gutes Mädchen», sagte Simon barsch, «seien Sie nicht töricht. Kein Mensch denkt, dass Sie etwas gesehen oder gehört haben. Niemand tut Ihnen etwas. Ich werde für Sie sorgen. Kein Mensch macht Ihnen irgendwelche Vorwürfe.»
Louise murmelte: «Monsieur ist sehr gut», und schlug artig die Augen nieder.
«Wir sollen also annehmen, dass Sie nichts gesehen und gehört haben?», fragte Race ungehalten.
«Das habe ich gesagt, Monsieur.»
«Und Sie wissen von niemandem, der einen Groll gegen Ihre Herrin gehegt hat?»
Zur Überraschung aller nickte Louise heftig mit dem Kopf. «Oh, doch. Weiß ich. Auf die Frage kann ich ganz entschieden ‹Ja› sagen.»
Poirot fragte: «Sie meinen Mademoiselle de Bellefort?»
«Die auch, klar. Aber die meine ich jetzt nicht. Es war noch jemand auf diesem Schiff, der Madame nicht leiden konnte, der sehr böse war, weil Madame ihn irgendwie gekränkt hatte.»
«Lieber Gott!», rief Simon. «Was soll das denn heißen?»
Louise nickte noch immer entschieden und heftig und fuhr fort. «Ja, ja, ja, es ist so, wie ich sage! Es geht um das frühere Mädchen von Madame – meine Vorgängerin. Ein Mann, einer von den Maschinisten dieses Schiffes, wollte, dass sie ihn heiratet. Und meine Vorgängerin, Marie hieß die, wollte das auch. Aber Madame Doyle, also sie hat Nachforschungen angestellt und sie hat rausgefunden, dass dieser Fleetwood schon eine Frau hatte – eine farbige Frau, Sie verstehen, eine aus diesem Land hier. Sie war allerdings zu ihrer Familie zurückgegangen, aber er war ja noch immer mit ihr verheiratet, Sie verstehen. Und Madame, also die hat das alles Marie erzählt und Marie war ganz unglücklich und wollte Fleetwood nie wieder sehen. Und dieser Fleetwood, also der hat getobt vor Zorn und als der rausgekriegt hatte, dass Madame Doyle die frühere Linnet Ridgeway war, da wollte er sie, hat er mir gesagt, umbringen! Dass sie sich da eingemischt hat, hat ihm das Leben ruiniert, sagt er.» Louise schwieg und sah triumphierend drein.
«Ist ja interessant», sagte Race.
Poirot wandte sich Simon zu. «Haben Sie davon irgendetwas gewusst?»
«Überhaupt nichts», antwortete Simon glaubhaft ehrlich. «Ich bezweifle auch, dass Linnet wusste, dass der Mann auf dem Schiff ist. Sie hatte den ganzen Vorgang wahrscheinlich längst vergessen.» Er wandte sich brüsk an das Dienstmädchen: «Haben Sie Mrs. Doyle irgendetwas davon erzählt?»
«Nein, Monsieur, natürlich
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