Der Tod auf dem Nil
und hielt das nasse Taschentuch umklammert. «Aber wer war es?»
«Das», sagte Poirot, «ist genau die Frage, die wir uns gerade stellen. Sie können uns dabei nicht helfen, mein Kind?»
Jacqueline schüttelte den Kopf. «Ich weiß nicht… Ich kann mir nicht vorstellen… Nein, ich habe nicht die leiseste Ahnung.» Sie zog die Stirn in tiefe Falten. «Nein», sagte sie schließlich, «ich wüsste niemanden, der sie tot sehen wollte.» Ihre Stimme zitterte leicht. «Außer mir.»
Race sagte: «Entschuldigen Sie mich einen Augenblick – mir kam da gerade eine Idee.» Er lief hinaus.
Jacqueline de Bellefort saß mit hängendem Kopf da und verhakte nervös ihre Finger. Plötzlich stöhnte sie laut auf: «Der Tod ist schrecklich – schrecklich! Ich – hasse allein den Gedanken daran.»
«Ja», sagte Poirot. «Es ist keine angenehme Vorstellung, nicht wahr, dass genau in diesem Augenblick irgendjemand sich darüber freut, wie erfolgreich er oder sie den Mordplan ausgeführt hat.»
«Nicht – nicht!», schrie Jackie. «Das klingt so schrecklich, wie Sie darüber reden.»
Poirot zuckte die Schultern. «Aber so ist es.»
Leise sagte Jackie: «Ich – ich wollte, dass sie tot ist – und jetzt ist sie tot… Und was noch schlimmer ist… sie ist genau so gestorben – wie ich gesagt habe.»
«Ja, Mademoiselle. Durch einen Kopfschuss.»
Sie schrie laut heraus: «Dann hatte ich Recht an dem Abend im Hotel Cataract. Es hat uns jemand zugehört!»
«Ah!», nickte Poirot. «Ich war schon neugierig, ob Sie sich daran noch erinnern würden. Ja, es wäre alles in allem ein bisschen viel Zufall – dass Madame Doyle genau so umgebracht wird, wie Sie damals beschrieben haben.»
Jackie schauderte. «Der Mann an jenem Abend – wer kann das gewesen sein?»
Poirot schwieg eine Weile, dann fragte er, mit einer sehr anderen Stimme: «Sie sind sicher, dass es ein Mann war, Mademoiselle?»
Jackie sah ihn verwundert an. «Ja, natürlich. Wenigstens…»
«Ja, Mademoiselle?»
Sie runzelte die Stirn und schloss die Augen um sich besser erinnern zu können. Dann sagte sie langsam: «Ich dachte, es sei ein Mann…»
«Aber jetzt sind Sie nicht mehr so sicher?»
Langsam antwortete sie: «Nein, ganz sicher kann ich nicht sein. Ich hatte einfach angenommen, es sei ein Mann – aber in Wirklichkeit war es bloß – eine Gestalt – ein Schatten…»
Sie schwieg und fuhr erst fort, als Poirot nichts sagte. «Sie glauben, dass es eine Frau gewesen sein muss? Aber von den Frauen auf dem Schiff hier konnte doch bestimmt keine Linnet umbringen wollen?»
Poirot wiegte nur leicht den Kopf.
Die Tür ging auf und Dr. Bessner erschien. «Wollen Sie bitte mitkommen und mit Mr. Doyle sprechen, Monsieur Poirot? Er möchte Sie gern sehen.»
Jackie sprang auf und packte Bessner am Arm. «Wie geht es ihm? Geht es ihm – gut?»
«Natürlich geht es ihm nicht gut», entgegnete Dr. Bessner vorwurfsvoll. «Der Knochen ist gebrochen, verstehen Sie.»
«Aber er wird doch nicht sterben?», schrie Jackie.
«Ach, wer hat denn was von Sterben gesagt? Wir werden ihn in die Zivilisation zurückbringen und da werden wir ihn röntgen und ordentlich versorgen.»
«Oh!» Jackie presste krampfhaft die Hände zusammen und sank wieder auf den Stuhl.
Poirot trat mit dem Doktor hinaus aufs Deck, wo ihnen Race gerade entgegenkam. Gemeinsam gingen sie über das Promenadendeck und zu Bessners Kabine.
Simon Doyle lag da, gestützt von Kissen und Decken und mit einem eilig gebastelten Käfig über dem Bein. Seine Gesichtsfarbe war gespenstisch, der Ausdruck gezeichnet von Schmerzen und Schock. Vor allem aber von Verwirrtheit – der heillosen Verwirrtheit eines Kindes. Er murmelte: «Bitte, kommen Sie herein. Der Arzt hat mir gesagt – gesagt, dass – Linnet… Ich kann es nicht glauben. Ich kann einfach nicht glauben, dass das stimmt.»
«Ich weiß. Es ist ein schwerer Schlag», sagte Race.
Simon stammelte weiter: «Wissen Sie – Jackie hat das nicht getan. Ich bin sicher, dass Jackie das nicht getan hat! Es sieht finster aus für sie, das muss man wohl sagen, aber sie hat das nicht getan. Sie – sie war beschwipst gestern Abend, und total erregt, deshalb ist sie auf mich losgegangen. Aber sie würde – sie würde keinen Mord begehen… keinen kaltblütigen Mord…»
Poirot sagte sanft: «Quälen Sie sich nicht, Monsieur Doyle. Wer immer Ihre Frau erschossen hat, Mademoiselle de Bellefort war es nicht.»
Simon sah ihn zweifelnd an. «Ist das ehrlich
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