Der Tod aus dem Norden
Überraschung erholt hatte, war ich freigekommen und jagte ihm bereits einen Faustschlag entgegen, der sein Kinn erwischte. Mir aber schoß der Schmerz durch die Hand hoch zum Ellenbogen. Hoffentlich war nichts gebrochen. Der Krieger fiel nicht. Erstand da, starrte mich dumpf an. Sein langes Haar glänzte fettig. Er stank nach Fisch und Schweiß. Aber er besaß noch eine Waffe.
Bevor er die Keule heben konnte, hatte ich schon mit der Handkante zugeschlagen.
Diesmal schwankte der Knabe. Handkantenschläge war er nicht gewohnt. Er taumelte über das Schiff und fiel an der gegenüberliegenden Bordwand zwischen die Ruderbänke. Ausgeschaltet war er nicht. Mühsam stemmte er sich nämlich wieder hoch.
Ein zweites Mal erwischte ich sein Kinn. Diesmal mit der Fußspitze. Ein dumpfes Knirschen ertönte, und die Augen bekamen einen seltsamen Ausdruck. Dann fiel er in eine Lücke, wo er liegenblieb und sich nicht mehr rührte.
Das war geschafft.
Ich rieb und betastete meine Knöchel, weil ich feststellen wollte, ob tatsächlich nichts gebrochen war. Nein, sie schmerzten nur. Hatten die Wikinger einen Krieger zurückgelassen, oder befanden sich noch weitere an Deck?
Es war noch nicht völlig dunkel geworden, aber die Schatten der Felswände fielen auf das Schiff, so daß ich nicht viel erkennen konnte. Das Segel war gerefft. Sein Mast lag in der Mitte zwischen den Ruderbänken. Am Heck sah ich eine Feuerstelle und auch Fässer, in denen sich wahrscheinlich Proviant befand.
Wie ging es weiter? Sollte ich warten, bis jemand kam, oder sollte ich versuchen, den Mast aufzurichten? Allein schaffte ich das nicht. Es gab nichts, was mithätte helfen können. Um den Mast in die Höhe zu bekommen, waren sicherlich zehn oder mehr starke Männer erforderlich. Ich ging durch den Mittelgang zum Bug des Schiffes — und blieb plötzlich stehen, als hätte mich eine Faust gestoppt. Zuerst dachte ich an einen Krieger, der den Bereich des Bugs überwachte. Beim Näherkommen erkannte ich den Irrtum und bekam eine Gänsehaut. Was da vor mir stand und durch ein Holzgestell gehalten wurde, war kein Mensch, es mußte die Puppe sein, von der mir Clive Braddock berichtet hatte.
Das Voodoo-Geheimnis der Wikinger!
***
Ich tat zunächst nichts, denn die Überraschung war einfach zu groß. Viele Gedanken schwirrten durch den Kopf. Im Prinzip beschäftigten sie sich mit Braddocks Erzählungen.
Er hatte die Puppe erwähnt und kannte sie auch möglicherweise vom Ansehen, aber aus der Gegenwart, aus unserer Zeit. Ich sah sie ebenfalls, doch ich befand mich jetzt in der Vergangenheit, wahrscheinlich im elften Jahrhundert.
Das nahm ich hin, denn durch die Zeit zu reisen, war ich mittlerweile gewohnt.
Daß ich die Puppe nicht würde zerstören können, war mir klar. Sonst hätte sie es ja nicht auch in meiner Zeit geben können. Aber ich wollte sie mir zumindest genauer anschauen.
Die Höhe der Bordwände reichte aus, um mir den entsprechenden Schutz zu geben. Deshalb riskierte ich es auch, die schmale Lampe zu nehmen und die Puppe anzuleuchten. Ihr Schein würde nicht über die Bordwand hinweggleiten.
Braddock hatte zwar von einer Puppe gesprochen, sie allerdings auch als einen Menschen angesehen, der aus Afrika mitgebracht worden war. Ein Mensch, möglicherweise ein dunkelhäutiger Zombie, in dessen Gesicht ich zielte.
Es war tatsächlich eine dunkelhäutige und böse, widerliche Fratze. Die Haut kam mir vor, als wäre sie von aller Flüssigkeit befreit worden. Sie war zusammengezogen, besaß ein Muster aus Falten, und der Kopf erinnerte mich dabei an einen alten, verschrumpelten Apfel. Haare sah ich nicht. Entweder hatte die Gestalt sie verloren oder sie waren ihr abrasiert worden, um Platz für die dunklen Nadeln zu bekommen, von denen zwei im Schädel der Zombie-Puppe steckten. Zwei weitere steckten im Gesicht der Puppe, die übrigen verteilten sich auf dem Körper.
Mir juckte es in den Fingern, eine oder mehrere Nadeln aus dem Körper zu ziehen. Ich beschloß, es zu wagen. Die Lampe hielt ich dabei auf die Augen gerichtet. Es war selbst bei diesem Licht nicht zu erkennen, ob die Augen noch lebten oder überhaupt vorhanden waren. Das Licht verlor sich in den dunklen Höhlen wie in tiefen Trichtern. Die Nadel an der Wange interessierte mich. Mit den Fingerspitzen berührte ich sie. Mir selbst war durch die feuchte Kleidung ziemlich kalt geworden. Die Nadel aber besaß eine innere Wärme, erklärbar mit dem Begriff ›Schwarze Magie‹.
Ich
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