Der Tod aus dem Norden
würde.
»Keine Sorge, Mädchen, noch bin ich da. Wenn Braddock stirbt, geht es auch dir schlecht!«
Sie reagierte nicht mehr und ließ sich von mir wieder vorschieben. Ich schaute rasch in die verschiedenen Richtungen und entdeckte die Wikinger, die den Kreis um uns enger gezogen hatten. Die Lage spitzte sich zu. Ohne Pause trommelten die beiden Krieger weiter. Vom Klang her war es das gleiche Geräusch, wie ich es aus Haiti kannte.
Wo steckte Leif?
Für mich war es einfach unvorstellbar, daß er alles seinen Untergebenen überlassen würde. Wenn jemand Befehle gab, dann mußte er es einfach sein.
Die Trommeln waren vorhanden, die Krieger ebenfalls. Auch das Opfer. Es fehlte meiner Ansicht nach aber noch etwas sehr Wichtiges, vielleicht das Wichtigste überhaupt.
Die Puppe!
Sie sah ich ebensowenig wie Leif, den Grausamen. Ich konnte mir vorstellen, daß er unterwegs war, um die Puppe zu holen. Vielleicht blieb mir diese Spanne als Galgenfrist.
Auf dem direkten Weg näherte ich mich dem Gefangenen nicht. Ich hätte dann durch das Feuer gehen müssen, was ich auch nicht wollte. Freya zeigte auch jetzt noch keinen Widerstand. Möglicherweise wartete sie auf eine günstige Gelegenheit, die bestimmt kommen würde, wenn Leif, der Häuptling, erschien.
Den Bogen hatten wir geschlagen. Ich stand nicht mehr weit vom Netz entfernt, das von mehreren schräg stehenden Stöcken gehalten wurde. Sie waren ebenfalls durch Taue und Bänder mit den Felsen verbunden und gaben dem Gestell den nötigen Halt.
Die Trommler machten weiter. Wenn Braddock mich hören sollte, mußte ich schreien. Darauf konnte ich verzichten. Ich wollte meine Lage nicht noch mutwillig verschlechtern.
Clive Braddock hatte seinen Kopf nach hinten gedrückt. Er konnte nur schräg in den Himmel schauen. Mich würde er erst sehen, wenn ich dicht vor ihm stand.
Wer war wichtiger? Freya oder Braddock? Ich entschied mich für ihn. Freya würde mich bei meiner Arbeit nur behindern. Sie bekam von mir zum
›Abschied‹ einen Stoß, taumelte zur Seite, und ich huschte auf das Netz zu. Um die Trommler kümmerte ich mich nicht. Wichtig war Braddock, der einen Ruf der Überraschung ausstieß, als ich fast in das gespannte Netz hineinfiel und mit meinem Dolch an den Stricken säbelte.
»Sind Sie okay, Clive?«
»Mehr oder weniger!« keuchte er.
»Was haben die mit Ihnen vorgehabt?«
»Keine Ahnung. Die sind mit sich selbst beschäftigt. Das ist die Nacht der Nächte für sie.«
Ich säbelte weiter, der Körper federte hoch und mir entgegen. »Wie soll ich das verstehen?«
»Die Nacht des Todes. Wir haben uns den richtigen Zeitpunkt ausgesucht. Heute werden sie zu Zombies. Die haben die Puppe vom Schiff geholt, da werden wir noch Spaß bekommen.«
Ich zerrte Braddock von den Resten des Netzes weg. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Die harte Fesselung hatte für einen Blutstau gesorgt.
Mit dem Rücken an die Felswand gelehnt blieb er stehen. Da war er zunächst in Sicherheit.
Ich kam überhaupt nicht mehr zurecht. Wieso war das die Nacht der Nächte? Was hatten die Wikinger vor?
Das Trommeln würde ich als Echo noch lange in den Ohren behalten, auch wenn es nicht mehr zu hören war. Es war so gleichmäßig, so daß ich mißtrauisch wurde und auf den rechten der beiden Trommler zuging. Er nahm mich nicht zur Kenntnis. Selbst als ich dicht vor ihm stand, hörte er nicht damit auf, seine Arme zu bewegen. Er schaute nicht einmal hoch.
Ich trat gegen die Trommel. Sie kippte und rollte fast in das Feuer hinein. Dann zerrte ich den Kerl auf die Füße, sah in sein Gesicht — und erkannte den toten Blick der Augen.
Ja, leer und tot!
Dafür gab es nur eine Erklärung. Dieser Trommler war kein Mensch mehr. Der unheimliche Zauber der Voodoo-Magie hatte ihn längst in einen Zombie verwandelt. Ich ließ ihn los. Er prallte mit dem Rücken auf, kein Laut drang aus seinem Mund.
Ich verkniff es mir, den zweiten Trommler zu untersuchen. Bei ihm hätte ich das gleiche festgestellt.
Braddock kam mir mit unsicheren Schritten entgegen. »Na, Sinclair, habe ich recht gehabt?«
»Ja, er war bereits tot gewesen.«
»Klar, und so wird es den anderen auch ergehen, darauf können Sie sich verlassen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe es gespürt, diese Nacht wird ihnen das ewige Leben geben.«
»Unsinn, das ist…«
»Hören Sie, Sinclair. Vergessen Sie nicht, was in unserer Zeit geschehen ist. Meine Eltern haben sich mit den Wikingern beschäftigt. Sie
Weitere Kostenlose Bücher