Der Tod bin ich
das geöffnete Fenster und blickte mit feuchten Augen auf die Clayallee hinunter.
44.
Ich kannte dieses Zimmer nicht. Das Weiß der Wände wirkte frisch, rundherum war ein Ölsockel gestrichen. Ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, ein heller Naturholzschrank, Waschbecken mit Spiegel – die Einrichtung wies einen ordentlichen Hotelstandard auf. Der Blick nachdraußen ging ins Grüne. Die Bäume trieben aus, ein Forsythienbusch blühte gelb. Zweifellos Frühling. Das Bett jedoch, in dem ich lag, hatte am Fußende einen gebogenen Metallbügel, Räder und Rollen an der Seite, mit denen bei Verlagerungen Stöße abgefangen wurden. Außerdem hing ich an Schläuchen und mein Kopf war mit einem kompakten Verband umwickelt. Warum lag ich in einem Krankenhaus?
Es klopfte.
Meinem Gefühl nach kehrte ich von einer langen Reise zurück. Ich hatte viel erlebt, ohne etwas darüber erzählen zu können. Erst im Nachhall kam die Einsicht, dass so etwas nicht möglich war. Vielleicht hatte ich überhaupt nichts erlebt, sondern nur lebhaft geträumt. Einen schweren, langen Traum, nicht endend wollend zäh und schmerzhaft wie ein Wiederholungszirkel, aus dem sich kein Ausweg finden ließ. Oder ich träumte von einem Krankenhaus und würde nun bald erwachen?
Nach nochmaligem Klopfen öffnete sich die Tür. Malikow trat herein. Ich erschrak.
– Ich habe gehört, dass es dir nun besser geht.
Meine Erinnerung war so weit klar, dass ich vorhatte, mit ihm in Verhandlung zu treten. Über den Fortgang wusste ich allerdings nichts.
– Wo bin ich? Bin ich inhaftiert?
Sein Blick war schwer zu deuten. Mitleidig oder enerviert?
– Diese Geschichte habe ich dir in den letzten Wochen schon vielfach erzählt.
Ich sackte in mich zusammen. Wenn er nicht log, war ich nicht in der Lage, etwas aufzunehmen und zu verarbeiten. Außerdem sprach er von Wochen. Aber er hatte unabweisbar recht. Die schneebedeckte Wiese des Englischen Gartens stand mir vor Augen. Und draußen war Frühling. Dazwischen klaffte ein Loch, das ich nicht zu füllen wusste.
– Wir saßen im Auto und verhandelten. Salantino mischte sich ein und hat dich angeschossen. Streifschuss am Kopf. Auf der Flucht sind wir mit dem Wagen verunglückt. Ich konnte dich in unsere Vertretung schaffen, dort bist du behandelt worden. Allerdings bildete sich ein Blutgerinsel im Schädel und in der Folge davon Bewusstseinstrübungen. Deswegen haben wir dich hierhergebracht und operieren lassen. Die Ärzte meinen, alles sei gut verlaufen. Der Rest ist ein Durchgangssyndrom, aus dem du dich gerade verabschiedest.
Ich schloss die Augen und spürte, wie ich rückwärts in die Dunkelheit zurücktaumelte.
45.
Ich erwachte mit einer präzisen Erinnerung an einen Albtraum. Malikow war darin vorgekommen und hatte mir eröffnet, dass mir sämtliche Ereignisse der letzten Wochen abhandengekommen waren. Durch den Nebel meiner Schläfrigkeit hindurch erkannte ich Ella, die sich über mich beugte.
– Guten Morgen, sagte eine Frauenstimme. Stillhalten!
Ich spürte einen schmerzhaften Stich am Unterarm. Endlich gelang es mir, die Person mit den Augen zu fixieren. Die Krankenschwester trug ein Häubchen und einen weißen Kittel. Mit einem feuchten Wattebausch betupfte sie die Einstichstelle.
– Das war es dann schon. Frühstück kommt gleich.
Sie verließ das Zimmer. Ich kannte diesen Raum nicht. Das Weiß der Wände wirkte frisch, rundherum war ein Ölsockel gestrichen. Am Fenster stand ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, daneben ein heller Naturholzschrank. Plötzlich wurde mir klar, dass ich all das in der gleichen Reihenfolge schon einmal gedacht hatte. Ich richtete mich auf und konzentrierte mich. Vom Fenster aus hatte man einenBlick ins Grüne und draußen war Frühling. So hatte ich das bereits wahrgenommen und anschließend war Malikow gekommen. Es klopfte.
– Ja!
Eine junge Schwester brachte mir ein Tablett mit dem Frühstück und stellte es auf das Kästchen neben dem Bett.
– Ich möchte Malikow sprechen. Können Sie das bestellen?
Sie nickte. Ich betrachtete das Tablett. Brötchen, Marmelade und ein Getränk, bei dem sich nicht feststellen ließ, ob es Kakao oder Kaffee war.
Zwei Stunden später saß Malikow an meinem Bett.
– Erinnerst du dich an meinen letzten Besuch?
– Ja. Wann war das?
– Gestern.
– Wo bin ich?
Malikow zog anerkennend die Augenbrauen hoch.
– Gute Frage. Du bist also bereit, dich wieder zu orientieren. Du befindest dich im
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