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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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Regierungskrankenhaus von Berlin-Buch.
    – DDR?
    Er nickte.
    – Wie komme ich wieder zurück?
    Er schüttelte den Kopf.
    – Es gibt dich im Westen nicht mehr.
    – Was soll das heißen?
    Er öffnete die Ledertasche, die er neben dem Stuhl abgesetzt hatte, und entnahm ihr ein Foto. Er reichte es mir herüber. Ich erkannte ein Grab mit Holzkreuz.
    – Was ist das?
    – Ist deutlich zu lesen: Bertold Oftenhain 1930–1965. Dein Grab im Münchner Nordfriedhof.
    Fassungslos starrte ich auf das Bild.
    – Wie ich dir erzählt habe, sind wir mit dem Auto verunglückt. Helmut ist dabei umgekommen. Der Wagen ist anschließend ausgebrannt. Weil man von dir ein paar Kleidungsreste gefunden hat, ist nun Helmut unter deinem Namen begraben. Gut für dich. Hätte man dich erwischt, säßest du längst im Gefängnis.
    – Aber ich muss mich doch um Ella und das Kind kümmern!
    – Was willst du tun? Du bist krank, wenn du im Westen wiederauftauchst, nehmen sie dich fest.
    – Aber wir hatten doch abgemacht, dass man mir eine andere Identität verschafft.
    – Bekommst du auch. Aber zunächst musst du auf die Beine kommen und deinen Part mit unseren Wissenschaftlern ableisten. Solange müssen deine Freundin und das Kind warten. Erst sind wir an der Reihe.
    Er versuchte meinen Blick zu ergründen.
    – Natürlich werde ich unsere Vereinbarung erfüllen. So bald wie möglich.
    Beruhigt lehnte er sich zurück.
    – Nimm es so: Hinterher hast du die Chance auf ein zweites Leben. Neu und unbelastet, wenn du willst.
    Er erhob sich und verschloss seine Tasche.
    – Denk darüber nach. Wenn du mich brauchst, gib Bescheid.
    Malikow hatte recht, die Sachlage war ganz einfach. Ich musste gesund werden und anschließend meine Arbeit erläutern. Beides aber so rasch wie möglich. Am Nachmittag kämpfte ich mich aus dem Bett hoch, auf wackligen Beinen schaffte ich es jedoch nur bis zum Stuhl. Erst einige Tage später verließ ich zum ersten Mal mein Zimmer. Mich mit der Hand an der Mauer absichernd, ging ich ein paar Schritte den Gang entlang. Dann kehrte ich wieder um. Mein Zimmer hatte die Nummer einhundertsiebenunddreißig. Ein seltsames Gefühl beschlich mich, als ich die Ziffern las. Sie muteten oberflächlichund leer an. Ich verstand zunächst nicht, was mich daran so bestürzte. Mit einiger Verzögerung begriff ich schließlich, dass sie in mir kein Echo mehr erzeugten. Ich hörte sie nicht mehr. Sie waren nur Zahlen, alles andere war erloschen.

TEIL IV
2006
     
    Der Übergang vom Möglichen zum Faktischen findet also während des Beobachtungsaktes statt. Wenn wir beschreiben wollen, was in einem Atomvorgang geschieht, so müssen wir davon ausgehen, dass das Wort ›geschieht‹ sich nur auf die Beobachtung beziehen kann, nicht auf die Situation zwischen zwei Beobachtungen.
    W ERNER H EISENBERG
    Der Umstand, dass die Vergangenheit nicht eindeutig bestimmt ist, bringt auch mit sich, dass sich Beobachtungen, die man in der Gegenwart an einem System vornimmt, auf seine Vergangenheit auswirken können.
    S TEPHEN H AWKING

1.
    David Ashton wohnte im zweiten Innenhof des St. Matthew’s College, dem Grey Friars’ Court. Das Appartement befand sich über der Master’s Lodge und war ähnlich großzügig geschnitten. So jedenfalls hatte Fred Fridge die Räume in Erinnerung, als er David vor einigen Jahren einen Besuch abstattete. Er erschrak, als er eintrat. Die Wohnung mutete wie eine Höhle an. Sie roch muffig, weil David inmitten von Bücherbergen hauste. Die bis zur Decke reichenden Regale waren doppelreihig gefüllt, vom Boden türmten sich hoch aufragende Stapel, auch der Esstisch war mit Zeitschriften belegt. Zwischen den Papierhaufen war ein schmaler Durchgang in die anderen Zimmer frei geblieben. Vor diesem Chaos hatte offenbar sogar der wöchentliche Putzdienst des College kapituliert.
    – Tee?
    Davids Stimme kam aus der Küche. Erstaunlich gelenkig hatte er sich zwischen den Hindernissen hindurchgewunden.
    – Mach dir keine Mühe, rief Fred, der sich auf einem der freien Sessel niedergelassen hatte.
    – Alles da, man muss es nur finden!
    Nach einer Weile brachte David ein Tablett mit Tee und Keksen.
    – Was kann ich für dich tun, Fred?
    – Die Sache mit Oftenhain beschäftigt mich. Du hast ja damals seine Hinterlassenschaft überprüft.
    – Das wenige, was ihr noch zusammenkratzen konntet.
    – Du hieltest das für vielversprechend.
    – Tue ich auch heute noch.
    – Aber warum ist diese Formel nie aufgetaucht? Warum halten

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