Der Tod bin ich
Umgebung. Alles war ruhig, die Zufahrtsstraßen blieben unbelebt. Dennoch war er unschlüssig. Ob mit der Beseitigung von Fred seine Probleme gelöst waren, stand dahin. Irgendwann würde man Fred aus dem Wasser bergen und, so war zu hoffen, auf einen Sportunfall als Todesursache befinden. Aber er musste mit dem Geflohenen als Mitwisser rechnen, auch wenn dessen feiges Verhalten nicht zu deuten war.
Er steckte den Bolzen, den Fred als Waffe benutzt hatte, in die Halterung zurück. Nichts deutete mehr darauf hin, dass im Bootshaus ein Kampf stattgefunden haben könnte. Da fiel ihm das Buch auf, das auf einem Pult in der Ecke lag. Die Hinweise in der beigelegten Plastikhülle waren klar, hier trugen sich die College-Mitglieder ein, die an einem bestimmten Tag ein Boot beanspruchten. Er blätterte es auf. Schon bald stieß er neben Freds Namen auf den von Colin Tilbury. Wie ein jäher Nervenschmerz durchfuhr Aaron einWarnsignal. Tilbury hatte zu Freds Gruppe gehört. Als er schließlich auch David Ashton verzeichnet fand, sprang der Gedankenfunke über. ETH Zürich, der jugendlich wirkende Fellow! Er musste jener David gewesen sein, dessen Namen Fred vorhin zur Unterstützung gerufen hatte. Der Funke entzündete eine Lunte, die eine Explosion weiterer Folgerungen auslöste. Er war hier auf ein Nest von Ehemaligen gestoßen, die für den Geheimdienst gearbeitet hatten. War auch Ashton, so spann Malikow diesen Gedanken weiter, schon damals in Zürich im Dienst des MI6, ergab sich daraus ein zwingender Hinweis, welcher Intrige aus dem Inneren der ETH Sergej zum Opfer gefallen war. Nie hatten sie herausfinden können, warum der Plan, Petris Notizbuch an sich zu bringen, gescheitert war. Der Informant, der mit Petri und seinen Aufzeichnungen ebenso vertraut war wie Oftenhain, konnte nur Ashton gewesen sein.
Er zog das Rolltor herunter und machte sich in die Stadt auf, in der sich wegen des ungastlichen Wetters nur wenige Touristen aufhielten. Er mied die Hauptstraßen und ging von der
King’s Parade
in das Gewirr der kleinen Gässchen hinein. Dort stieß er auf ein vegetarisches Café, das ihm studentisch genug erschien. Er bestellte einen Soja-Milchshake und erkundigte sich bei der Kellnerin, welchem College Professor David Ashton zugehöre. Sie deutete nach draußen, wo die beiden markant hohen Türme des St. Matthew’s College die Dächer überragten.
Der Erdbeershake schmeckte süßlich-bitter. Malikow schob ihn beiseite und hob die Hand, um zu bezahlen. Zögernd saß er an seinem Tisch und starrte geistesabwesend auf das Wechselgeld, das der Kellner vor ihn hin zählte. Er zauderte wie einer, den man bat, auf eine heiße Herdplatte zu fassen. Dann aber trat aus den Tiefen seiner Erinnerung das Bild von Sergejs Leiche vor ihn, die man aufgequollen und prall wie ein Ballon aus dem Zürcher See gefischt hatte.
23.
Endlich war der sehnlich erwartete Mittwochmorgen gekommen, er zeigte sich kühl und neblig. Allerdings hatte es aufgehört zu regnen. Nur zögerlich begannen sich die grauen Schwaden zu verflüchtigen. Die Pflasterung aus den grob gehauenen Steinen war glitschig. Als Ella vor sich das große Tor auftauchen sah, umschloss eine kaltfingrige Angst ihr Herz. Fast wäre sie erneut in das Café geflüchtet.
Der Porter zeigte sich bereitwillig, das Suchen und Fragen der Frau war ihm im Gedächtnis geblieben. Er wusste, dass Professor Ashton vor kurzer Zeit das College betreten hatte, und erklärte sich bereit, ihn telefonisch zu verständigen.
– Tut mir leid, er kann wohl erst in etwa zwei Stunden Besuch empfangen. Es heißt, er sei in die Kapelle gegangen, um Orgel zu spielen.
– Kann ich denn nicht dort auf ihn warten? Ich höre ihn gerne spielen und werde ihn dabei sicher nicht stören.
Zweifelnd sah sie der Porter an, dann gab er seinem Herzen einen Stoß und ließ die ältere Frau passieren.
– Die Kapelle ist vom Kreuzgang des Grey Friars’ Court aus zu erreichen.
24.
Gleich am Mittwochmorgen nahm ich die erste Maschine und landete gegen acht Uhr britischer Zeit in Stansted. Der Tag dort begann grau, diesig und kalt. Seine Tristesse passte zu meiner Stimmung. Vom Flughafen aus nahm ich den Bus und langte vor zehn Uhr in Cambridge an. Ich suchte mir ein Zimmer mit
Bed and breakfast
und machte mich anschließend zur St. John’s Street auf, an der die Colleges hintereinander aufgereiht lagen. Gegenüber dem St. Matthew’sCollege fand ich auf Anhieb das Lokal mit den gekreuzten Schwertern,
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