Der Tod bin ich
den Fluss hatte. Zwei Skuller glitten in ihren schmalen Booten angetrieben durch ruhige, kraftvolle Riemenzüge an ihm vorbei. Auf den Wiesen und Feldern waren Traktoren unterwegs, der frische Schnitt verlieh den sommerlichen Feldgerüchen eine besondere Würze. Nach einer halben Stunde erreichte er Grantchester und betrat den Teegarten.
Gilbert hatte sich bereits in einem der grünen Liegestühle niedergelassen und döste in der Sonne. Fred pfiff den Anfang von
Kaiser Bill’s Batman
, und Gilbert fuhr hoch.
– Bleib sitzen. Was möchtest du?
Gilbert zwinkerte in die Sonne.
– Tee.
Fred ging in das Lokal und kam dann mit einem Tablett zurück, auf dem er für sie Tee sowie Scones mit Clotted Cream drapiert hatte.
– Wann fliegst du?
– Übermorgen. Ab Stansted.
Fred schenkte Tee ein.
– Hast du mir etwas mitgebracht?
– Du meinst Papier? War mir offen gesagt zu riskant.
– Ist in Ordnung. Ich will dich nicht in Schwierigkeiten bringen.
Gilbert beugte sich vorne.
– Kurz gesagt: Es ist tatsächlich kein Gerücht. Wir im Dienst können bestätigen, dass es sich bei dem Toten um Oftenhain handelt.
– Davon bin ich ausgegangen. Aber wie ist es ihm gelungen, sich so lange zu verstecken?
– Seine Identität wurde in den sechziger Jahren umfrisiert. Sie haben sich einen Namensdreher zunutze gemacht und ihm eine Vitaverpasst, die einem Richard Uhlmann gehörte. Sie haben Uhlmann in Eulmann umgewidmet, sodass er dann mit dessen Zeugnissen und Bescheinigungen unterwegs sein konnte. Mit diesem kleinen Eingriff bekam er eine perfekte Biografie.
– Aber wer könnte dahinterstecken? Warum legen sie ihn nach so langer Zeit um?
Gilbert zuckte die Achseln.
– Wissen wir nicht. Ist uns ein vollkommenes Rätsel.
– Und wie haben sie ihn aufgespürt?
– Zwei Möglichkeiten sehe ich.
– Und die wären?
– Punkt eins: Wenn die Russen ihm die neue Identität verschafft haben, kannten die seinen Aufenthaltsort. Warum sie allerdings nach so langer Zeit noch etwas mit ihm abzumachen hatten? Keine Ahnung!
– Und die andere Möglichkeit?
– Die Rosenholz-Dateien.
– Musst du mir erklären.
– Die Dateien sind eine mikroverfilmte Kartei mit den Namen der Agenten, die im Ausland für das MfS gearbeitet haben. Insgesamt mehr als dreihundertfünfzigtausend! Das Material hat die CIA nach dem Zusammenbruch der DDR erbeutet.
– Sie könnten demnach seit neunzehnhundertneunundachtzig Bescheid gewusst haben?
– Theoretisch ja. Aber das primäre Interesse galt Spionen, die in den USA tätig waren. Auf Oftenhain traf das logischerweise nicht zu. Sein Fall lag Jahrzehnte zurück, zudem war er als Agent längst abgeschaltet.
– Wann habt ihr die Dateien ausgewertet?
– Vor zwei Jahren ist das gesamte Material an die Bundesrepublik übergeben worden. Damit war es auch für uns zugänglich. Wir habenden Bestand benutzt, um einige Fälle abzuklären, die bei uns offengeblieben sind. So sind wir auf Oftenhain gestoßen.
– Die Amerikaner ignorieren ihn, ihr zieht die Nadel aus dem Heuhaufen?
Gilbert zuckte die Achseln.
– Jemand muss wohl ein spezielles Interesse gehabt haben. Woher wusstest du überhaupt davon?
– Über die
Clerkies
. Ich kann dir nicht mehr sagen, wie die Information in die Welt kam. Aber vergiss nicht, einige von uns waren in die Sache damals involviert.
Fred ließ sich in den Liegestuhl zurücksinken und dachte nach.
– Diese Weltformel, die er angeblich gefunden hatte, ist nie aufgetaucht. Glaubst du, dass sie die Gegenseite immer noch unter Verschluss hält?
– Pure Spekulation, wenn du mich fragst.
– Wenn man wenigstens wüsste, ob diese Ideen etwas getaugt haben.
– Für solche Fragen hattet ihr doch einen wissenschaftlichen Berater. Warum klärst du das nicht mit David Ashton?
– Ich habe ihn schon kurz gesprochen. Morgen besuche ich ihn zu Hause. Wird dann hoffentlich etwas ausführlicher. Aber ich wollte erst hören, was ihr zu dem Fall sagt. Allerdings: Zugänglich ist Ashton nicht gerade.
Gilbert beugte sich vor.
– In der Tat! Der Mann hat einen leicht autistischen Einschlag.
– Man muss gerecht bleiben. David verfügt nun mal über eine Spezialbegabung und hat sich nie für etwas anderes als sein Fach interessiert. Leider ist der ganz große wissenschaftliche Wurf ausgeblieben. Im Alter wird so etwas zur Bürde. Hast du noch einen Hinweis für mich?
– Das war alles.
– Vielen Dank! Wenn ich mal was für dich tun kann …
– Bowden-Pettigrew bei
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