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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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gebracht hatte, tat es mir leid.
    – Was gibt es denn?
    – Sie ist weg.
    Ich verstand gar nicht, was er mir mitteilen wollte.
    – Was meinst du denn?
    – Deine Mutter ist verschwunden.
    – Was soll das heißen?
    Ich hörte das Rascheln von Papier.
    – Sie hat uns einen Brief dagelassen. Sie schreibt: Es wird mir gut gehen, aber auf dem Hof bin ich nicht mehr sicher. Ich werde euch in absehbarer Zeit alles erklären. Bitte versucht auf keinen Fall, mir nachzuspüren.
    – Wie bitte?
    Ich setzte mich auf den Hocker und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Schließlich sagte ich Georg, dass ich mich erst mal sortieren müsste und mich wieder melden würde.
     
25.
    Verwirrt kehrte ich zu Mira zurück. Es dauerte eine Weile, bis ich mich in der Lage fühlte, ihr einen zusammenhängenden Bericht zu erstatten.
    – Und was soll ich jetzt tun, fragte ich am Ende.
    Mira hatte sich im Bett aufgesetzt und die Decke wie eine Toga um ihren Leib geschlungen.
    – Mit dem Chef reden. Musst du ja so oder so.
    Miras Vorschläge waren oft verblüffend pragmatisch.
    – Wieso muss ich?
    – Wenn du mehr über Eulmann rausbekommen willst, brauchst du seine Unterstützung. Er ist derjenige, der etwas über ihn wissen könnte. Von seinem Vater. Und dann könnte es ja sein, dass du bald wieder zu deinen Leuten fahren musst. Einen Sonderurlaub muss er dir genehmigen. Also ist es in jedem Fall gut, mit ihm zu reden.
    Ich nickte und bettete meinen Kopf auf ihren Schoß. Sie strich mir wieder übers Haar. Ihre zärtlichen Berührungen machten mich ganz ruhig. Irgendwann schlief ich ein und fuhr hoch, als Mira mich an der Schulter packte.
    – Du hast ihn nicht zurückgerufen.
    – Georg! Ich habe ihn total vergessen.
    Ich sprang auf und ging hoch zu meinem Telefon. Peinlicherweise hatte er die ganze Zeit über auf mich gewartet. Wichtig war ihm vor allem, dass nichts
Offizielles
unternommen werde. Ich versprach ihm, nur selbst nachzuforschen und bald auf den Rettachhof zurückzukehren.
    Als ich wieder zu Mira ins Bett schlüpfte, schlief sie bereits.
     
26.
    Dass sein Leben je in so schlichter Einförmigkeit verlaufen würde, hatte Aaron Malikow nie zu hoffen gewagt. Jeden Morgen lagen Brötchen und Zeitung vor seiner Tür. Die Gewissheit, den Ort nicht mehr wechseln zu müssen, fand ihren schönsten Ausdruck in diesem Abonnement, das ihn immer wieder mit großer Freude erfüllte. Erstudierte die Zeitung, bis das Stupsen und Zerren an seinem Hosenbein von Rusty, seinem Cockerspaniel, so drängend geworden war, dass er sich etwas überzog, die Leine von der Ablage nahm und mit seinem Hund zusammen hinüber in den Grunewald ging.
    Jedem Wochentag waren Annehmlichkeiten zugeordnet, die zur festen Einrichtung geworden waren, in Berlin konnte man sich neuerdings bestens in russischer Gesellschaft bewegen: Heute Mittagessen mit Grigorij, der inzwischen so viel über die russische Literatur zu sagen wusste, morgen Tee bei Olga Petrowa, freitags Hausmusik bei den Fedorows, samstags Sauna oder hin und wieder eine kleine Abendgesellschaft, die er in seinem idyllisch am Rand des Grunewalds gelegenen Häuschen ausrichtete.
    Trotzdem, so angenehm sich seine Lebenssituation auch gestaltete, entsprang das Arrangement einer Verlegenheit. Nach seinem Abschied vom diplomatischen Dienst hatte er sich vorübergehend in Moskau niedergelassen. Dort hatte ihn die alte Garde in Beschlag genommen. Im internen Jargon nannte sich der Kreis, der sich regelmäßig im
Ulanow
traf,
Die Freunde Laikas
. Die Hündin war damals in einem Sputnik verglüht, und ihre Anhänger waren heute noch bereit, sich für das Wohl des russischen Volkes aufzuopfern. Aaron absolvierte die damaligen Abende wie eine lästige Pflichtübung. Der Wodka floss in Strömen, dazu gab es vor allem Saures, Scharfes und Salziges. Außerdem war fast jedes Mal der Tod eines Genossen zu beklagen, denn die Herren waren alt und hinfällig geworden, auch wenn sie ihre Behinderungen vom Granatsplitter in der Brust über die Beinprothese bis zum Anus praeter mit dem Stolz von Veteranen trugen.
    Gewöhnlich mündete der Abend in das Lamento über die neue Zeit ein. Aaron verstand, wie leicht auch aus ihm ein verbitterter alter Mann hätte werden können. Fraglos war der Zusammenbruch der Sowjetunion Verrat gewesen, aber seine Zechkumpane fühltensich im Wartestand wie weiland Lenin im Züricher Exil. Die Zukunft, die hier beschworen wurde, hielt Aaron Malikow für eine Schimäre. Sich daran

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