Der Tod bin ich
Frau Petri, die meine Verlegenheit bemerkte, versuchte einen Themenwechsel.
– Wie kommt es, dass Kaltenbrunner immer hier zu Hause anruft?
Frau Vogelsang, Petris Sekretärin, ging in Verteidigungsstellung.
– Weil ich ihn im Büro schon ein paar Mal verleugnen musste!
Sie dämpfte ihre Stimme und deutete mit ihrem Kopf Richtung Petri.
– Ich glaube, er nimmt ihm dieses Interview übel.
– In der
Illustrierten Revue
?
Frau Vogelsang nickte und begann zu flüstern.
– Er wollte wohl nicht für ein gemeinsames Projekt Weltformel vereinnahmt werden, sondern seine Sache lieber alleine ausarbeiten. Aber wer weiß das schon?
Frau Vogelsang zog ihre Schultern hoch und breitete ratlos die Arme aus.
– Verstehe, sagte Frau Petri.
Ich fühlte mich unwohl. Die beiden gaben mir das Gefühl, eine Unterhaltung zu belauschen, die nicht für meine Ohren bestimmt war.
– Wo kann ich mir die Hände waschen?
Frau Petri sondierte die Lage.
– Ich glaube, Sie gehen besser hoch. Gleich neben dem Arbeitszimmer. Aber laufen Sie uns nicht weg.
Die obere Toilette war leicht ausfindig zu machen. Ich nahm das Arbeitszimmer genauer in Augenschein. Der Schreibtisch war gegen das Fenster gerichtet, sodass man von dort aus einen Blick auf den See hatte. Regale säumten die Wände, dennoch standen einige Bücherstapel am Boden. Auch Zeitschriften waren dort aufgetürmt. Wer die übersichtliche Ordnung des Hauses wahrgenommen hatte, verstand sofort, dass Petri sich für diesen Raum jede Einmischung verbeten hatte. Hier war alles genau so, wie er es haben wollte. Außerhalb seines Arbeitszimmers hatte seine Frau das Sagen.
Schließlich fiel mir Petris Notizbuch auf der Schreibunterlage ins Auge, das neben aufgeschlagenen Fachbüchern lag. Ich dachte an Razors groben Auftritt und seine Drohungen. Was ich zu tun hatte, wurde mir sofort klar, allerdings machte mich schon die Vorstellung einer solchen Tat beklommen. Ich versuchte ruhig zu werden und verschaffte mir einen Überblick über die Lage. Petris Stimme war von draußen zu hören, das Damenkränzchen saß wie zuvor. Vorsichtig Schritt für Schritt setzend, ging ich in das Arbeitszimmer und steckte das Notizbuch in die Tasche. Ich fühlte mich dabei wie ein Fremder, ein ferngesteuerter Doppelgänger, der zielgerichtet, aber mit einem Angstschwindel im Kopf seinen Auftrag erledigte.
Später saß ich dann wieder in der Damenrunde, hatte jedoch große Schwierigkeiten, mich noch auf die Gespräche zu konzentrieren. Den Frauen machte das offenbar nichts aus, sie betrachteten mich als höflichen, schüchternen jungen Mann. Frau Petri legte immer wieder ihre Hand auf meinen Unterarm, um zu verhindern, dass ich mich nach anderswohin aufmachte. Aber sie blieb in das Gespräch mit Frau Vogelsang vertieft.
– Eine Bitte hätte ich noch, sagte Frau Petri.
– Aber gerne.
– Reden Sie ihm doch zu, dass er endlich einmal wegen seiner ständigen Magenschmerzen zum Arzt geht. Alles, was ihn selbst angeht, vernachlässigt er chronisch.
Frau Vogelsang tippte auf Frau Petris Arm und neigte sich seitwärts zu ihr.
– Der Termin hat schon stattgefunden. Ich habe ihn selbst vereinbart.
Frau Petri fuhr zurück.
– Ach sieh mal an. Und zu mir sagt er kein Wort.
Da sich die Ersten verabschiedeten, nutzte auch ich die Gelegenheit zum Aufbruch. Petri stand immer noch draußen unter dem Ginkgo, hatte jedoch bemerkt, dass ich mich zu gehen anschickte. Er eilte hinzu und gab mir die Hand.
– Für Ihre Kavalierstat bin ich Ihnen sehr dankbar.
Er kniff das linke Auge zu und lächelte verschwörerisch.
– Möchten Sie mich demnächst einmal im Institut besuchen und mir weiter von Ihrer Arbeit erzählen?
Ich errötete, sagte aber sofort zu. Als ich das Haus verlassen hatte, fühlte ich mich so schlecht wie nie zuvor.
37.
Kurz nach elf Uhr betrat ich die Wohnung. Ich sah noch Licht im Bad. Um kein Risiko einzugehen, sperrte ich das Buch in meine Schublade. Frau Hetzenecker war zuzutrauen, dass sie mich auch noch spätnachts zum Verlauf des Abends befragen wollte. Als ich dann nach einer Weile nachsah, ob sie zu Bett gegangen war, bemerkte ich, dass die Tür zu ihrem Schlafzimmer einen Spalt offen stand. Noch nie hatte sie den Einblick in ihr Privatissimum gestattet.Sie saß vor einer Frisierkommode und bürstete ihr Haar. Das lange kaftanartige Negligé aus blassgelber Seide reichte ihr bis an die Knöchel. Unterhalb der Brust war es mit einem Band zusammengezogen. So zeichneten sich
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