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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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sollte etwas lernen. Aber in diesem Stadium empfand ich die immer noch misstönende Orgel als große Qual. Ohne dass ich genauer hätte sagen können, um welche Pfeife es sich handelte oder wo sonst das Problem saß, schmerzten die Abweichungen von der gesuchten Tonhöhe mein Ohr.
    So ähnlich begannen mich Petris Entwürfe zu peinigen. Als hätten sich Musiker darauf verständigt, absichtlich falsch zu spielen. Das Konzept klang nach Katzenmusik, es erinnerte mich an eine schräge Nummer von Narren, deren Hosen zu kurz und die Stolpersteine zu groß waren, bei denen das Missgeschick zur Methode wurde. Und das machte diese Skizzen so seltsam: Das Falsche gehorchte einer verdeckten Regel, es kam als Parodie auf Harmonie und Schönheit daher, weil in dem verstümmelten Klang noch die Ahnung aufgehoben war, wie das Stück eigentlich hätte klingen sollen. Petri hatte Maxwells Modell des Elektromagnetismus mit dem Instrumentarium der Relativitätstheorie auszudrücken versucht. Seine fast spielerischen Ansätze erinnerten an das mathematische Gerüst einer Fugenkomposition, bei der das Thema gesetzmäßig variiert wird: Eine Melodie wird versetzt in der Unterstimme wiederholt, rückwärts gespielt, in der Tonhöhe gespiegelt, für die verschiedenen Stimmen gleichzeitigin anderem Rhythmus und anderen Tonarten wiederholt. Man spürte die Ordnung dieser Ansätze, aber sie blieben ein Zerrbild, weil die Ausdrucksmittel fehlten, so wie eben auch die perfekte Partitur nicht auf einer verstimmten Orgel spielbar ist.
    Erschrocken fuhr ich hoch. Das Büchlein hielt ich immer noch aufgeklappt in beiden Händen. Ich steckte es in die Kassette, in der ich mein Geld aufbewahrte. Dann wusch ich mir das heiße Gesicht, legte mich wieder zu Bett und schlief sofort ein.
     
38.
    Ich erwachte am anderen Morgen nur schwer. Aus einem tiefen Schlund von Träumen kämpfte ich mich nach oben. Eine Weile blieb ich orientierungslos, wusste nicht, wo ich war, bis ich aus der Küche die vertrauten Geräusche von Frau Hetzenecker hörte.
    Kurze Zeit darauf saß ich am Küchentisch vor Müsli und Kräutertee. Ein Kaffee hätte mir gutgetan, aber solche Genussgifte servierte meine Wirtin nicht. Frau Hetzenecker nahm sich einen Stuhl.
    – Und?
    Ich wusste, was sie hören wollte. Gleich zu Anfang lobte ich ihren klugen Rat, der Dame des Hauses Blumen mitzubringen. Fast gerührt blickte sie zu mir her. Ich konnte gar nichts anders, als den Verlauf des gestrigen Abends für sie angenehm aufzubereiten. Als ich geendet hatte, nickte sie und strich ihre Schürze glatt.
    – Dann haben wir ja alles richtig gemacht.
    Nun konnte ich mich unter dem Vorwand, noch arbeiten zu wollen, wieder in mein Zimmer zurückziehen. Auf meinem Schreibtisch breitete ich einige Bücher und Papier aus, holte das Notizbuch aus der Kassette und legte es dazwischen, um es bei Tageslicht noch einmal durchzusehen. Anschließend wanderte ich zwischen Waschtisch und Fenster hin und her und versuchte, meine Gedanken zu klären.
    Ich wollte das Notizbuch an Salantino weiterleiten. Malikow hatte mich bislang in Ruhe gelassen und mir keine Aufträge erteilt. Eine Kopie der Aufzeichnungen würde nicht genügen, ich musste meine Zuverlässigkeit mit dem Original beglaubigen. Die Vorstellungen, die Salantino und Konsorten von der Arbeit der Wissenschaftler hatten, erschienen mir abstrus. Sie verwechselten Grundlagenforschung mit Ingenieurstätigkeit. Aber keiner von uns zerbrach sich darüber den Kopf, niemand wollte etwas erfinden. Die Ableitungen und Weiterungen dieser Forschung waren ein eigenes Feld, der Wert unserer Ergebnisse bemaß sich nicht am praktischen Nutzen. Mit einer Kopie der Notizen würde ich mich womöglich nur erneut dem Vorwurf aussetzen, Schulstoff statt verwertbaren Erkenntnissen zu liefern. Allerdings musste ich davon ausgehen, dass Salantino das Material von kompetenten Wissenschaftlern prüfen ließ. Diese könnten sich dann Petris Entwürfe für ihre eigene Forschung zu eigen machen und in der akademischen Welt mit Resultaten hervortreten, die ihnen nicht zustanden. Auch wenn es Salantino und Malikow nie verstehen würden, die Fields-Medaille, ein Nobelpreis und sogar nachrangige Auszeichnungen bedeuteten Grundlagenforschern für ihre Arbeit mehr als der Bau einer Maschine, die auf ihren Erkenntnissen fußte. Um solchen akademischen Missbrauch zu verhindern, musste ich die Aufzeichnungen entschärfen. Ich wollte nur solche Skizzen preisgeben, die mir unverfänglich

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