Der Tod bin ich
gehört.
– Liegen bleiben!
– Aber ich muss doch!
Frau Hetzenecker wedelte den erhobenen Zeigefinger.
– Nichts da. Ich habe schon im Institut angerufen und Sie für heute entschuldigt.
Später brachte sie mir eine Suppe. Dadurch wurde mir wohler,und gleich begann ich mich zu schämen. Ich hatte mich in die Krankheit geflüchtet. Dennoch fühlte ich mich für den Moment sicher, hier in meinem Bett, jetzt wollte ich diesen einen Tag nutzen, um mir alles durch den Kopf gehen zu lassen.
Gegen Abend endlich hatte ich einen Entschluss gefasst.
36.
Ein paar Tage später fand ich im Institut eine Einladung vor. Professor Petri veranstaltete wie jedes Jahr eine kleine Soiree in seinem Haus, zu der alle Mitarbeiter eingeladen waren.
– Wie schön, sagte Frau Hetzenecker. Aber da müssen wir Sie ein wenig fesch machen.
Seit meiner Krankheit bemutterte mich Frau Hetzenecker noch mehr als zuvor. Sie bügelte mein Hemd und suchte mir eine Krawatte aus den Beständen ihres Mannes heraus. Außerdem gab sie mir den dringlichen Rat, für die Frau Professor ein paar Blümchen mitzubringen. Darüber freue sich jede Frau. Ich verstand den Wink und besorgte bei dieser Gelegenheit auch einen Strauß für sie, den ich ihr als Dank für ihre Obhut schenkte. Ihre Bäckchen röteten sich, sie gab mir einen Kuss auf die Wange.
Petri lebte in Zollikon, und ich entschloss mich daher, mit dem Fahrrad zu fahren. Es würde mich unabhängig vom Schiff und dem Bus machen. Kurz vor Petris Haus stieg ich vom Rad, streifte die Gummis ab, mit denen ich meine Hosenbeine vor der Kette geschützt hatte, und strich meinen Anzug zurecht. Ich löste das Papier, mit dem die Blumen umwickelt waren, und ging die letzten Meter zu Fuß. Dann stand ich vor Petris Haus.
Wie recht Frau Hetzenecker mit ihrem Rat hatte, erwies sich schon an der Tür, wo ich meinen Strauß überreichte. Frau Petri zeigte sich entzückt.
– Ein Mann ganz nach meinem Geschmack, gab Frau Petri in die Runde.
Petri zwinkerte mir anerkennend zu. Dann hakte mich seine Frau unter und führte mich durch das Haus. Sie zeigte mir Wohnzimmer, Bibliothek und Arbeitszimmer und führte mich zuletzt zum Büfett, wo sie mir ein Glas Bowle einschenkte. Sofort sah ich Frau Hetzeneckers erhobenen Zeigefinger vor mir, denn Alkohol war nicht im Sinne Bircher-Benners, allerdings an diesem Abend eine lässliche Sünde, wo ich doch bereits unter den kalten Platten eine große Auswahl verschiedener Käsesorten ausgemacht hatte.
Mit der Aufmerksamkeit für Frau Petri hatte sich der weitere Verlauf des Abends entschieden. Sie packte mich am Ärmel und zog mich hinüber zu dem Damenkränzchen, das sie zu betreuen hatte.
Die Gesellschaft war sehr übersichtlich. Es mochten zwanzig Personen sein, die das Wohnzimmer und die Terrasse bevölkerten. Neben den Assistenten und geladenen Kollegen waren auch die Sekretariatsdamen gekommen. Die jungen Wissenschaftler interessierten sich jedoch für kein anderes Thema als ihr Fachgebiet. Daneben wurden allenfalls noch Tipps und Hinweise ausgetauscht, wie man im akademischen Betrieb am besten reüssieren konnte. Die Gespräche untereinander waren so, dass man sie jederzeit unterbrechen konnte, wenn sich eine Gelegenheit ergab, bei Petri anzudocken. Der stand draußen unter einem Ginkgobaum, schwenkte sein leeres Glas, wenn er Nachschub wollte, und arbeitete ansonsten wie ein geistlicher Würdenträger Audienzwünsche ab. Im Moment war er in eine intensive Beratung mit David Ashton vertieft, der keinerlei Anstalten machte, den Gastgeber für andere freizugeben. Da niemand seine Zeit für ein Gespräch mit den Sekretariatsdamen vergeuden wollte, war klar, dass sich Frau Petri zuvörderst um sie zu kümmern hatte. Durch meine Kavaliersgeste hatte ich mich für den Frauenkreis empfohlen.
– Wenigstens einer, der sich heute Abend mehr für uns als die Wissenschaft interessiert, rief Frau Petri in die Runde.
Also fügte ich mich in das Unvermeidliche, denn den Kreis hätte ich nach dieser Ankündigung nur grob unhöflich wieder verlassen können. Unter den Frauen entwickelte sich ein munteres Geplauder, und sie sparten nicht mit Spitzen gegen die akademische Männergesellschaft. Und so erfuhr ich, dass Pfister ein zweites Jackett gut anstünde, dass Lundbaek sich mehr pflegen sollte und dass Hünermann einen Cognac im Schreibtisch stehen habe. Auch Ashton kam nicht gut weg. Er habe etwas von einem Schleicher an sich, der immer wie aus dem Nichts auftauche.
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