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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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Klingeln. Dann war Ruhe. Kurz darauf begann es erneut und würde nach dem sechsten Mal abbrechen. So ginge es fort, es sei denn, er würde den Hörer abnehmen. Ächzend stemmte er sich hoch und tappte im Dunkeln zum Telefon. Er hörte noch, wie am anderen Ende aufgelegt wurde. Er klopfte sich nebenan im Bad ein wenig Wasser ins Gesicht und schlüpfte in seine Kleider.
    Auf Zehenspitzen und ohne ein Geräusch stieg er die Treppe hinunter. Aber natürlich hatte Boris ihn wahrgenommen. Er stand neben der Haustür, winselte und wedelte mit dem Schwanz. Malikow hob den Zeigefinger, und der Schäferhund setzte sich folgsam auf den Boden. In gespannter Aufmerksamkeit verfolgte er, wie sein Herr den Mantel anlegte. Klopfend schlug sein Schweif auf den Boden. Malikow mochte Boris und nahm ihn, wann immer er konnte, zu sich nach Hause. Er zögerte. Drei Uhr nachts war eine ungewöhnliche Zeit, einen Hund auszuführen. Allerdings war der Spaziergang, den er vor sich hatte, ebenso ungewöhnlich. Außerdem würde er Boris in ein paar Stunden ohnehin wieder abholen lassen müssen. Wenn er das Klingeln seines Telefons richtig deutete, gab es in München Probleme.
    Malikow dachte sofort an Oftenhain. Mehrfach hatte er Überlegungendurchgespielt, ihn zu eliminieren. Seit Zürich war er zu einem gefährlichen Zeugen geworden. Dass ihn die Mitwisserschaft des Mordes an Petri belastete, war offenkundig. Seine wissenschaftliche Arbeit war zudem nicht besonders ertragreich für die Bereiche, in denen die heimische Physik Defizite aufwies. Bei der Antriebstechnik von Fluggeräten durch Kernenergie war man hinter die Amerikaner zurückgefallen. Allerdings war es Oftenhain gelungen, am MPI, dem Münchner Physikalischen Institut, an eine Professorenstelle zu gelangen. Schon aufgrund dieser Position durfte man ihn als Joker betrachten, der sich bei Bedarf spielen ließ. Bis dahin war jedoch große Aufmerksamkeit aufzubringen, ihn durch Zureden und Drohungen bei der Stange zu halten.
    Malikow sah in den Spiegel. Strategien waren wie Kartenhäuser. Ständig waren sie neu aufzubauen. Er verfiel in eine fatalistische Stimmung.
    Schließlich nahm er die Leine von der Garderobe. Boris sprang auf und drückte sich an sein rechtes Bein, während er den Haken einklinkte. Draußen war es für die Jahreszeit sehr frisch. Ein Gruß aus der Heimat. Ein Hochdruck- und ein Tiefdruckgebiet lagen stationär über Polen. Durch den Korridor, den sie bildeten, strömte kalte Luft aus dem Norden Russlands ein. Die Mondsichel schob sich hinter einer Wolke hervor. Malikow schlug den Kragen hoch. Die ganze Siedlung lag im Dunkeln, die Letzten waren zu Bett gegangen und die Ersten noch nicht aufgestanden.
    Neben dem Bushäuschen stand die Telefonzelle, die er aufsuchen wollte. Er warf die Münzen ein und wählte die Nummer.
     
2.
    Von der Osterwaldstraße her hatte der Spaziergänger den Englischen Garten betreten. Der Morgen war klar und frühherbstlich kühl, dieWiesen des Parks schimmerten feucht. Für einen Schwabinger Müßiggänger war der Tag noch zu jung, für einen Touristen der ausgreifende Schritt zu zielgerichtet. Unter den Arm geklemmt trug er eine Aktentasche aus Leder, auch der braune Übergangsmantel aus Popeline und der leichte Filzhut passten zu einem, der sich auf dem Weg ins Büro noch etwas Bewegung verschaffte. An der Hirschau, wo der Schwabinger Bach einen Knick machte, steuerte er eine Bank an, die unter einer ausladenden Eiche stand. Aus seiner Tasche holte er die Hälfte eines belegten Brots, nahm hastig ein paar Bissen, steckte es wieder zurück und zog, immer noch kauend, einen Fotoapparat hervor, anschließend ein Teleobjektiv, das in einer ledernen Hülle untergebracht war. Er schraubte das Objektiv auf die Kamera und überprüfte damit zunächst die weitläufigen, von Wegen durchzogenen Wiesen um ihn herum. Neuerdings patrouillierten morgens Polizeistreifen zu Fuß oder zu Pferd durch den Park, um Gammler aufzuspüren, die dort im Schlafsack nächtigten. Als er sich vergewissert hatte, dass niemand in seiner Nähe war, visierte er über den Bach hinweg durch eine Lücke in dem Baumbewuchs einen frei stehenden Bungalow an. Die Fassade des modernen Baus war komplett verglast und das vorspringende Flachdach gab der Veranda eine terrassenartige Anmutung. Er stellte das Objektiv schärfer und hatte nun einen alten Mann im Sucher, dessen Gestalt auf die Entfernung etwas Eulenartiges an sich hatte: Hemdschöße und Hosenträger hingen wie

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