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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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jedenfalls in meiner Erinnerung. Sie maß vielleicht einen halben Meter.
    Wir saßen im Garten. Meine Mutter trank Kaffee, ich hatte ein Glas Saft bekommen, verdünnten Johannisbeersirup. Sie trug die schmutzige grüne Schürze, die so erdig roch. Zufrieden mit ihrer Arbeit ließ sie ihren Blick über die Anlage schweifen. Dann zeigte sie mir die Rose. Was sie genau sagte, hat sich in meinen Erinnerungen verwischt und einen Tiefgang erhalten, den sie vielleicht gar nicht gesucht hatte. Sie wollte mir nur nahebringen, was diese Rose so besonders machte. Natürlich seien ihre Größe, ihr Gewicht, ihr Duft, ihre Dornen wesentlich. Wichtig sei auch, was wir mit ihr anstellen wollten. Vieles gebe es da. Man könne sie abschneiden, in eine Vase stellen, um die Wohnung damit zu schmücken. Man könne aberauch ihre Blätter kandieren oder einen Tee daraus bereiten. Oder Parfüm daraus destillieren. Viele Möglichkeiten ließen sich denken, entscheidend dafür sei, wer sich ihr nähere, ein Gärtner, Koch, Künstler oder sonst jemand. Die Rose eröffne sich jedem Blickwinkel mit größter Geduld, und sei er noch so begrenzt. Man müsse sich jedoch vor Augen halten, dass ihr Sinn in dem, was sie für uns sei, nie ausgeschöpft werden könne. Die Rose existiere auch ohne uns und sei daher etwas für sich, was wir nur dann Schicht um Schicht zur Gesamtheit zusammensetzen würden, wenn wir alles miteinbeziehen könnten, was sie in uns berühre. Damit erst komme unsere innere Welt mit der äußeren überein.
    Die Physik vielleicht verlassen zu müssen empfand ich als grausam. Aber in meinem Sinnieren spürte ich, wie sehr sich alles an meinen Vater richtete, was ich in diesem Bereich unternahm. Hinter dieser auf Leistung bedachten und durch den Verstand gelenkten Welt tat sich die meiner Mutter auf, die sich als Kindheits- und Jugenderinnerung lebendig erhalten hatte.
     
11.
    Kaltenbrunner hatte mich in sein Büro gebeten. Von den großen Fenstern aus sah man auf den grün wuchernden Institutsgarten. Auch in der Einrichtung seines Zimmers zeigte er sich als Naturfreund. Ölgemälde bayerischer Maler waren dort aufgehängt, ein Blick auf den Walchensee, eine Almhütte bei Garmisch und andere Idyllen, die sich keinem bestimmten Ort zuordnen ließen. Kaltenbrunner liebte bequeme Anzüge aus weichem Lodenstoff. Das Formelle war ihm sichtlich zuwider. Umfangreicheres Aktenmaterial, das er gelegentlich mit nach Haus nahm, verstaute er in einem braungrünen Bergrucksack.
    – Kaffee?
    – Gerne.
    Er schenkte aus einer geblümten Kanne ein und schob mir Milch und Zucker zu.
    – Sie haben Ihre Sache beim Besuch des Ministers sehr gut gemacht.
    Lob, aber auch Tadel brachte Kaltenbrunner ohne Umschweife zur Sprache. Sein Gesicht wies nur gutartige Falten auf, Überdruss, Skepsis, Sarkasmus und ähnliche andere Eigenschaften, die einen Menschen verunstalten konnten, hatte er offensichtlich nicht an sich herangelassen.
    Ich deutete eine leichte Verbeugung an, um mich zu bedanken.
    – Das hat mich auf die Idee gebracht, dass Sie unser nächstes Jahressymposion leiten könnten. Was meinen Sie?
    Die freudige Überraschung, die sich in meinem Gesicht abzeichnete, war ihm Antwort genug.
    – Ich dachte an den Frühsommer nächsten Jahres, zu einer Zeit jedenfalls, zu der die Kollegen gerne nach München kommen.
    Ich rechnete nach. Das war in etwa neun Monaten. Ich nahm den Vorschlag als einen Wink des Schicksals. Auf meinem langen Spaziergang hatte ich mir noch etwa acht Monate zugebilligt, bis ich den Knoten in meiner aus Zwang und Willfährigkeit gewirkten Existenz durchhauen wollte. Ein solches Symposion würde mir die Möglichkeit geben, vor einem exklusiven Kreis meine Vorstellungen vorzutragen. Ein besseres Forum würde mir nie geboten, die Aufmerksamkeit der akademischen Öffentlichkeit wäre mir gewiss.
    – Ich würde mich über diese Aufgabe freuen, sagte ich.
    Kaltenbrunner nickte wohlwollend.
    – Das wusste ich. Packen Sie es an!
    Damit hatte ich aber auch einen Punkt gesetzt, von dem aus es kein Zurück mehr geben konnte. Ich spürte einen angstvollen Druck in der Magengegend, gegen den ich sofort anzugehen versuchte.Allen falls die Form meiner Existenz würde zerstört, für meine Arbeit bot sich dennoch die Chance, Bestand und Anerkennung zu gewinnen.
    – Frau Rose kann Ihnen zur Hand gehen, sie hat viel Erfahrung in dieser Hinsicht.
    Kaltenbrunner stand auf und wühlte in seinem Postkorb.
    – Nur dass wir auch das gleich vom

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