Der Tod bin ich
nach lebte Frau Rose in einer hellen, penibel aufgeräumten Wohnung mit Büfett, Esstisch und Couchgarnitur, eher konventionell eingerichtet wie bei Tante Frieda. Beim Betreten ihres Appartements wurde mir sofort klar, dass ich sie vollkommen falsch eingeschätzt hatte. Den Gang beleuchteten orange, kugelförmige Leuchten, an den Wänden hingen Poster, und der weiche Teppich hatte ein streifenförmiges Muster. Frau Rose kam mir entgegen, sie trocknete ihre Hände an einem Küchentuch. Sie führte mich an einem Wohnzimmer mit schummrigem Licht, Schalensessel und Sitzkissen vorbei und geleitete mich in eine vorwiegend elfenbeinfarbige Küche. Die bunte Essecke war aus einem runden Tisch mit hummerroter Platte und verschiedenfarbigen Stühlen zusammengestellt. Die größte Überraschung war jedoch Frau Rose selbst. Sie trug einen dunkelroten Hausanzug aus Nickistoff, dessen Hosenbeine am Oberschenkel eng anlagen und die nach unten hin weit ausgestellt waren. Sie hatte sich eine weißeSchürze umgebunden, wirkte dabei aber wie aus dem Ei gepellt, als habe sie sich überhaupt nicht mit hausfraulichen Tätigkeiten abplagen müssen.
Auch der Tisch war bereits festlich gedeckt. Gepunktete Stoffservietten waren wie Bischofsmützen gefaltet und standen auf den Tellern, auf einem fünfarmigen Leuchter brannten rote, zum Farbton der Tischplatte passende Kerzen. Dazu war die Küche perfekt aufgeräumt. Ich staunte.
– Kochen, decken, aufräumen – wie schaffen Sie das nur?
Sie lachte.
– Ich hatte Hilfe. Ella hat mit angepackt.
– Ein Hausmädchen?
– Nein, sie ist eine Au-pair.
Sie öffnete das Backrohr und fächelte mit ihren Ofenhandschuhen die warme Luft zu mir her.
– Und?
– Riecht köstlich.
Sie zerlegte das Hähnchen in der Kasserolle, tat mir auf und schenkte mir Wein ein. Dann reichte sie mir ein Baguette.
– Einfach ein Stück abbrechen. Ideal zum Tunken. Wenn es gelungen ist, sollte die Soße das Beste sein.
Sie setzte sich leger mit übereinandergeschlagenen Beinen auf den Stuhl, stippte die Soße mit dem Brot und hob ihr Glas.
– Schön, dass Sie Zeit gefunden haben. Und verzeihen Sie mir bitte noch mal meine Unhöflichkeit.
Draußen auf dem Flur waren Geräusche zu hören. Frau Rose stand auf.
– Einen kleinen Moment!
Ich hörte Stimmen. Dann huschte eine junge Frau vorbei. Sie war ausgehfertig und warf einen kurzen scheuen Blick in die Küche. Verdutzt musterte ich sie. Wäre sie mir auf der Straße begegnet, hätteich mit Sicherheit angenommen, Leni vor mir zu haben. Die Ähnlichkeit war verblüffend. Wie Leni trug auch sie ihr lockiges dunkles Haar halb lang und hatte diese rosigen Bäckchen bei sonst hellem Teint.
Das Licht im Flur wurde gelöscht, dann ging die Haustür. Frau Rose kam zurück. Alles wirkte nun unerwartet intim, als befänden wir uns in einem Separee. Das Kerzenlicht flackerte und ließ den Schatten meiner Gastgeberin an der Wand tanzen. Wenn sie sich zurücklehnte, blieb ihr Gesicht im Dunkeln.
Im Büro hatte ich Frau Rose stets als unnahbare, kühle Sachwalterin von Institutsgeschäften kennengelernt. Mir gegenüber saß aber eine mondäne Frau, die mich in ihre Umgebung eingesponnen hatte. Ich fühlte mich gehemmt und überließ es ihr, die Richtung unseres Gesprächs vorzugeben.
– Professor Kaltenbrunner hält ja große Stücke auf Sie!
Sie fragte auf charmante Weise meinen bisherigen Werdegang ab. Vergaß auch nicht, sich nach meiner Verwandtschaft in der DDR zu erkundigen.
– Nach einer so gediegenen Ausbildung dort drüben – warum kommt man da in den Westen?
Ich erzählte ihr die Geschichte meines Vaters.
– Haben Sie aber Glück gehabt, dass man Sie ungeschoren gelassen hat.
Ich verstand nicht, was sie meinte.
– Staatssicherheit! Gerade in unserem Bereich häufen sich solche Fälle. In der Kernforschungsanlage in Jülich zum Beispiel. Die andere Seite nutzt Konstellationen wie die Ihre für Erpressungen. Was rede ich denn da …
Sie lachte wieder dieses raue Lachen.
– … sicher sind Sie politisch und charakterlich gefestigt genug.
Sie behielt mich über ihr Glas hinweg im Auge.
– Gott sei Dank war ich solchen Anwerbungen nie ausgesetzt, hörte ich mich sagen. Man hat mich in Marienfelde ja auch ausdrücklich als politischen Flüchtling anerkannt.
Schalkhaft drohte sie mit dem Zeigefinger.
– Klingt ja, als möchten Sie sich rechtfertigen.
Mich erfasste eine plötzliche Angst, dass sie alles über mich wusste. Dann aber wechselte
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