Der Tod bin ich
zu unserem eigenen Schutz zu sorgen. Und deshalb bleibt es dabei, dass sich ein einsamer amerikanischer Bürger im Park erhängt hat. Und da die offiziellen Kanäle verstopft sind, müssen wir mit deiner Hilfe auf eigene Faust ermitteln.
– Hören Sie! Ich kann das nicht tun. Definitiv!
In gespielter Verlegenheit zog er die Achseln hoch.
– Ich weiß ja nicht, wie du das siehst. Vielleicht wäre es ja nur ein Fliegenschiss auf einer sonst makellosen Vita, aber schön wäre das nicht, wenn das Gerücht kursierte, dass du unser Mann bist.
Blankes Entsetzen erfasste mich. Ich hoffte inständig, dass er die Tragweite seiner Drohung nicht überblickte. Ein solches Gerücht würde die komplizierte Balance meiner Existenz zerstören. Mein akademisches Renommee wäre verbrannt. Und sollte meine Tätigkeit für Salantino auffliegen, würde ein skrupelloser Mensch wie Malikow nicht zögern, mich zu eliminieren.
Befriedigt realisierte Salantino, dass er eine Bombe gezündet hatte.
9.
Salantino spürte meine Nervosität und zögerte seinen Abschied hinaus. Sicher führte er mich aus Berechnung vor, um mir klarzumachen, wie wehrlos ich war. Er befühlte mein Sofa, um hinterher festzustellen, dass man hier bequem die Nacht verbringen könne. Dabei ließ er mich nicht aus den Augen. Endlich war dieses Spiel für ihn ausgereizt, und er brach auf. Ich lauschte an der Tür auf seine Schritte die Treppe hinunter, hörte die Schwingtüre unten hin- und herflappen und verfolgte vom Fenster aus mit, ob er sich tatsächlich auf den Weg machte. Sogar hier führte er mich noch vor, indem er in meine Richtung winkte, ohne sich umzudrehen. Kurz darauf lag die Straße leer da.
Als ich mich endlich sicher vor ihm fühlte, ging ich zum Regal, wo ich meine Noten stehen hatte, und entnahm den Band mit den Streichquartetten von Brahms. Mit großer Erleichterung stellte ich fest, dass dort die Blätter steckten, von denen Salantino geredet hatte:Das
Nachtstück
. Den eigentlichen Wert dieser musikalischen Skizze konnte er nicht ermessen. In ihr waren die Teile von Petris Notizen aufgehoben, die ich damals herausgenommen und nicht weitergegeben hatte.
Mir war in Zürich schnell klar, dass ich dieses gefährliche Material nicht bei mir behalten durfte. Mit einem Fall wie dem heutigen musste ich rechnen. Eine gründliche Durchsuchung meiner Habseligkeiten hätte meine Unterschlagung auffliegen lassen. Ich brachte es aber nicht über mich, Petris Aufzeichnungen endgültig zu vernichten. Ich spielte daher viele Möglichkeiten durch, wie sie zu chiffrieren und zu sichern wären. Geschützt vor dem Zugriff anderer waren diese Aufzeichnungen nur dann verwahrt, wenn nur ich den Schlüssel zu ihrem Code besaß. Daher entschloss ich mich, Petris Zahlen und Formeln in Notenschrift zu übertragen, so wie ich mathematische Konstruktionen innerlich hören konnte. Dieser Schlüssel war privat, er musste nicht ausgearbeitet werden, denn er war in mir.
Ich füllte einige Notenblätter. Das Instrument, das ich dabei hörte, war meine Geige. Stets stellte sich der Eindruck her, den ich schon damals beim ersten Durcharbeiten der Notizen gewonnen hatte: Musikalisch bildeten Petris Entwürfe ein aus den Fugen geratenes System ab, das sich selbst parodierte. Schräg und leicht dissonant, aber immer unterlegt mit einer klaren Struktur. Ich überschrieb die Übertragung damals mit
Nachtstück
und legte sie bei meinen Noten ab.
Mit dieser Übertragung war ich tief in die Gedankenwelt von Petri eingedrungen. Ich hatte einen Einblick bekommen, der anderen verschlossen geblieben war. Natürlich übte dies einen Einfluss auf meine weitere Arbeit aus, ich hatte schließlich gelernt, das Neue, das sich in unserer Forschung abzeichnete, mit seinen Augen zu sehen. Auch deshalb hieß es von meiner ersten größeren Arbeit, die ich in Zürich veröffentlichte, sie fülle eine Lücke, die Petris Tod gerissen habe.
10.
Zwei Tage nach diesem turbulenten Abend unternahm ich einen langen Spaziergang durch den Englischen Garten. Der scheinbar lässliche Sündenfall, mit dem ich mich damals aus dem hässlichen Auffanglager nach Zürich zu Petri hatte befördern lassen, war ausschlaggebend für alle weiteren Verwicklungen gewesen. Auch wenn dieser Schritt nur ein scheinbar kleiner war, ein, wie ich damals dachte: notwendiger auf dem Weg zu meiner wissenschaftlichen Karriere, hatte er mich doch entscheidend geschwächt. Ich war von allen Seiten her angreifbar geworden, war
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