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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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seiner Frau meine Talente und beruflichen Aussichten. Sicher wusste sie über mich längst Bescheid, aber er benutzte die Situation einer vermeintlich Unwissenden, um mich loben zu können. Ich schämte mich und dachte daran, wie er mich und meine Arbeit sehen musste, wenn ich mich offenbaren würde.
    Anschließend gingen wir nach nebenan. Sein Flügel stand in der geräumigen Bibliothek. Die Menge der Bücher und das Spektrum der Themen zeigten, wie breit gefächert Kaltenbrunners Interessen waren. Lateinische und griechische Texte las er offenbar im Original. Die Tür zum Wohnzimmer blieb offen, darum hatte seine Frau gebeten, die unser Musizieren eine Weile mitverfolgen wollte.
    Kaltenbrunner spielte gut und sicher. Seine Gesichtszüge begannen sich durch die Musik zu verändern. Sein sonst wacher Blick kehrte sich nach innen, er spitzte die Lippen und wiegte den Oberkörper. Er wirkte beseelt. Ich hatte keine Schwierigkeiten, meinen Part anständig zu bewältigen. Nach der ersten Sonate sprang er auf.
    – Hörst du das, wie dieser Teufelskerl spielt?
    Er rief in das angrenzende Zimmer hinüber, wo seine Frau saß. Laura streckte den Kopf zur Tür herein und applaudierte.
    – Ich muss euch jetzt alleine weitermachen lassen. Ich möchte mich um meine Rosen kümmern. Eine große Bitte hätte ich, Herr Oftenhain. Wegen unserer Enkel steht das Mittel zum Sprühen im Schuppen ganz oben. Man müsste mit der Leiter …
    – Aber sicher.
    Etwas zu beflissen trat ich einen Schritt zurück. Der Notenständer kippte um.
    – Ich mache das schon, sagte Kaltenbrunner und winkte meine Versuche ab, alles auf einmal zu erledigen. Helfen Sie nur kurz meiner Frau.
    Ich folgte ihr durch Haus und Garten in den Schuppen. Eine Leiter war gar nicht nötig, um die Blechkanne herunterzuholen. Als ich über die Veranda wieder das Haus betrat, hörte ich Kaltenbrunner am Klavier. Eine Melodie von großer Klarheit und Schlichtheit wand sich aus der Bibliothek, gemächlich vorgetragen zunächst, dann zu höherem Tempo beschleunigt. Perlende Sechzehntel quollen hervor und sprangen wie eine hurtige Quelle über Stock und Stein. Silbrige Formationen bildeten sich und zerfielen rasch, so wie das Sonnenlicht auf der Oberfläche bewegten Wassers. Der Cantus, der umspielt wurde, war kaum auszumachen. Ich erkannte ihn jedoch sofort, aber in dieser Form hatte ich ihn nie zuvor zu Ohren bekommen. Ich spürte einen Stich im Herzen und mir wurde so schwach, dass ich mich am Sofa festhalten musste.
    Wie war Kaltenbrunner das nur gelungen?
    Dann erklang eine Passage, die eigentlich als Gegenstimme gedacht war. Seltsamerweise war die Polyfonie aufgelöst, die Tonschichten, die eigentlich übereinander hätten liegen müssen, wirkten nicht gleichzeitig ineinander, sondern liefen nacheinander ab. Ein eigenwillig schroffer Bass, ein Grollen aus Tiefen, als blicke man in den Brunnen der Zeit.
    Das Spiel brach ab. Ich hatte mich hingesetzt und war unfähig, mich zu rühren.
    – Ich wollte Sie nicht erschrecken.
    Kaltenbrunner stand in der Tür.
    – Bitte verzeihen Sie meinen Übergriff, aber ich war zu gespannt, wie Ihr Nachtstück wohl klingen mag.
    Ich nickte.
    – Die Art, wie Sie das Stück notiert haben, habe ich nicht ganzverstanden. Eine feste Tonart war wohl nicht beabsichtigt, also habe ich mir erlaubt, das ein wenig klaviergerecht zu transponieren.
    Er goss ein Glas Wasser ein.
    – Sicher ist das im Moment nur eine Skizze, aber wenn ich mir jetzt schon ein Urteil erlauben darf: Daraus könnte etwas ganz Außerordentliches entstehen, wenn Sie es angemessen ausarbeiten.
    Er reichte mir die Notenblätter. Es war die Transkription von Petris Formeln. Ich hatte sie damals in den Band mit den Brahmsnoten gesteckt. Beim Umkippen des Notenständers waren sie herausgefallen. Wenigstens das klärte sich auf, wenn ich auch sonst noch nicht verstand, wie es Kaltenbrunner gelungen war, diesem Nachtstück einen solchen Zauber zu entlocken.
     
23.
    Immer noch fassungslos saß ich abends zu Hause, betrachtete die Noten und versuchte herauszufinden, wie der Unterschied zwischen Kaltenbrunners Vortrag und der Melodie, die ich in mir hatte, zustande gekommen war. Ich holte meine Geige hervor und spielte aus dem Gedächtnis nach, was ich zuvor gehört hatte. Meinem Eindruck nach setzte Kaltenbrunner E-Dur voraus, um das Stück leichter bewältigen zu können. Als ich hinterher diese Fassung mit meiner Aufzeichnung verglich, konnte ich zunächst keinen Unterschied

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