Der Tod des Maerchenprinzen
die größte Verachtung, die frau jemanndem zuteil werden lassen kann.
Und ich werde ihm einen Brief schreiben. Einen Brief, daß er ein Schwein ist. Und warum er ein Schwein ist. Morgen früh. Und morgen nachmittag werde ich ihm den Brief hinbringen, mein Hemd abholen und ihn im Gespräch zu irgendwas provozieren. So daß ich einen Anlaß habe, ihn anzuspucken. Er wird mir einen Anlaß liefern. Er wird irgendein Chauvi-Verhalten an den Tag legen. Da bin ich ganz sicher. Irgendeinen Mackerspruch wird er bringen. Da hat er keine Schwierigkeiten. So was kann er immer.
Und am Mittwochmorgen werden Uschi und ich hinfahren und ihm mit lila Ölfarbe ans Fenster sprühen: «Auch hier wohnt ein Frauenfeind.» Morgens, wenn er auf der Arbeit ist. Und mein werde ich darunter setzen. Richtig schön in leuchtendem Lila. Wie gut, daß er Parterre wohnt.
Am Montagmorgen setze ich mich an die Maschine und tippe Arne fein säuberlich auf vier Seiten, warum er ein Schwein ist. Klar rausgearbeitet und gut strukturiert. So daß er nicht dran vorbei kann. Daß er weiß, warum er angespuckt wird. Daß er es nicht nach dem Motto abtun kann: Die ist mal im Affekt durchgedreht.
Als ich mir den Brief noch mal durchlese, bin ich zufrieden mit mir.
Hamburg, den 13.1.80
Lieber Arne!
Mir ist letzte Woche endlich klargeworden, warum ich Dir seit Monaten hinterherlaufe. Und zwar an Hand einer Szene aus meinem Buch, als ich sie Uschi zu lesen gegeben habe.
Vielleicht erinnerst Du Dich: Wir saßen bei mir am Küchentisch und haben uns über mich unterhalten. Ich hatte angefangen, Dir von meiner Vergewaltigung zu erzählen, und als ich mittendrin bin, sagst Du plötzlich: «Das interessiert mich jetzt eigentlich weniger.»
Total cool. Als wenn Du mich dabei unterbrichst, als ich Dir was von der Mettwurst im Sonderangebot erzählt habe.
Aber große Töne spucken, wenn es um die Frage der Verteidigung von Vergewaltigern geht! Du hast ja den politischen Durchblick. Was brauchst Du da noch ’ner Frau zuzuhören, wenn sie von ihrer Vergewaltigung erzählt? Das interessiert Dich eigentlich weniger. Viel mehr interessiert Dich, daß Du Deine «politisch richtige» Position in die Gegend posaunen kannst. Wozu eine Frau ernst nehmen, die da ’n anderen Standpunkt hat? Mann muß das politisch sehen. Wozu sich von ’ner Frau erzählen lassen müssen, wie sie vergewaltigt worden ist?
Mir ist am Dienstagabend klargeworden, daß das eine Schlüsselszene für unsere Beziehung ist. Daß Du damit die totale Mißachtung meiner Person zum Ausdruck gebracht hast. Mir fällt es heute noch unheimlich schwer, von meiner Vergewaltigung zu erzählen. Und das dürftest Du vielleicht auch inzwischen mal irgendwo gelesen haben, daß es den meisten Frauen nicht angenehm ist, darüber zu reden (wenn Du die Frauen-Artikel in der taz und im AK nicht regelmäßig überschlagen würdest). Und ich habe endlich angefangen, diese Scheu zu überwinden, weil ich es wichtig finde, gerade Männern, aber auch Frauen, zu vermitteln, was es eigentlich heißt, vergewaltigt zu werden. Aber es fällt mir jedesmal schwer und ich muß mich überwinden, der jeweiligen Person, der ich es erzählen will, das Vertrauen dazu entgegenzubringen. Ich bringe einem Menschen das Vertrauen entgegen, ihm von der erniedrigendsten Erfahrung meines Lebens zu erzählen. Und dieses Schwein sagt zu mir: «Das interessiert mich jetzt eigentlich weniger.» Kein Betroffenes: «Darauf kann ich mich im Moment gar nicht konzentrieren. Kannst du mir das morgen erzählen?» Sondern ein total Cooles: «Das interessiert mich nicht.»
Es interessiert Dich nicht, daß die Frau neben Dir vergewaltigt worden ist und mit Dir darüber sprechen möchte. Es interessiert Dich nicht!
Und an dieser Schlüsselszene ist mir klargeworden, daß Du mich wirklich die ganze Zeit mißachtet und mit Füßen getreten hast. Und ich Trottel bin Dir hinterhergelaufen, weil ich das nicht wahrhaben wollte. Weil ich von Dir doch noch als gleichwertiger Mensch akzeptiert werden wollte. Dafür wollte ich von Dir einen Beweis haben. Deshalb meine ständigen Diskussionen, aus denen ich immer das Ergebnis rausholen wollte: «Er nimmt mich doch ernst.» Ein Ergebnis, das da nie rauskommen konnte, weil Du mich immer mißachtet hast und mich immer mißachten wirst. Und daß Du so ’n Schwein bist, wollte ich einfach nicht wahrhaben. Ich wollte mir das Gegenteil beweisen.
Leider ist mir das die ganze Zeit nicht so bewußt gewesen. Deshalb
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