Der Tod des Maerchenprinzen
ist, aber irgend etwas geht in mir vor. Ich kann nicht reden und nicht denken. Mein Gehirn arbeitet, aber ich kann nicht denken. Erinnerungsfetzen rumpeln unstrukturiert durch mein Gehirn. Wie dunkle, schwere Kugeln, die ich nicht steuern kann und deren Bewegungen allen physikalischen Gesetzmäßigkeiten widersprechen. Dumpfe Geräusche, wenn sie gegeneinandergeschlagen oder gegen eine Wand poltern. Irgendwie gehören sie alle zusammen. Das ahne ich. Aber ich weiß nicht wie. Ich versuche sie zu erkennen. Aber sie verschwinden im nebligen Grau, wenn ich sie einander zuordnen will. Ich kann nur dasitzen und auf den Tisch starren. Und warten. Warten, bis irgend etwas von alleine passiert mit diesen schweren, unhandlichen Kugeln. Manchmal bleiben zwei aneinander kleben, wenn sie zusammengestoßen sind. Bilden eine graue, pulsierende Masse, in der es laut und geräuschlos brodelt und hämmert. Ich kann nicht erkennen, was im Innern dieses fremdartigen und doch nicht unbekannten Gebildes vor sich geht. Ich sehe nur, daß es nach außen hin endlich Konturen annimmt. Daß dieses dumpfe Grau in meinem Kopf plötzlich wieder die Form ganzer Sätze annimmt, die ich aussprechen kann.
Mir wird klar, daß Arne mich immer so behandelt hat. Daß er mich immer mißachtet hat. Daß er mir nie zugehört hat, wenn ich ihm etwas erzählen wollte, was für ihn neu war. Etwas über mich. Etwas, das in seinem festgefahrenen Gedankengebäude keinen Platz hatte. Wo mann erst Platz für hätte schaffen müssen. Und manchmal wird eben eine ganze Mauer brüchig, wenn mann unten einen Stein auswechseln muß. Und dann kommt das ganze Gebäude ins Wanken und mann muß sich überlegen, ob mann nicht ganz viele Stellen neu bauen muß. Dann lieber gar nicht erst was akzeptieren. Unsicherheit. Denkfaulheit. So erklärlich, wie dieses Verhalten ist, so unentschuldbar ist aber auch die Menschenverachtung, die damit verbunden ist. Daß er einfach nicht berücksichtigt, daß es nicht nur andere Positionen und Gedanken sind, sondern daß die Gedanken aus einem Gehirn kommen. Daß dieses Gehirn einem anderen Menschen gehört. Daß er es mit Menschen zu tun hat. Mit Menschen, die mit ihm reden. Und nicht nur mit dem, was sie reden.
Als ich abends im Bett liege, habe ich zum erstenmal nicht mehr das Bedürfnis nach Arnes Zärtlichkeit. Als ich versuche, mir vorzustellen, Arne würde mich jetzt streicheln, spannt sich mein ganzer Körper zu einem einzigen: «Geh weg!» Ich würde ihn mit einer ganz spontanen und schnellen Handbewegung wegscheuchen. Ich überlege. Mache ich mir nichts vor? Ist es nicht nur der Wunsch, ich wäre damit fertig? Bilde ich mir das nicht nur ein? Aber meine Abwehr bleibt. Bei allem, was ich mir vorstelle. Arne soll weggehen!
Aber er ist ja gar nicht da. Ich will, daß er hier ist, damit ich ihm zeigen kann, daß ich jetzt wirklich will, daß er abhaut. Aber er kommt ja Freitag. Mir ist es egal, wann es ist. Ich weiß, daß ich ihm irgendwann meine Ablehnung zeigen kann. Diese Gewißheit beruhigt mich.
In den nächsten Tagen überschlagen sich die Ideen in meinem Kopf, was ich mit ihm alles aufstellen könnte. Meine Abwehr bleibt. Juhu! Ich bin drüber weg. Hat mir das Schreiben des Buches also doch geholfen. Wenn auch nicht in der Form, wie ich dachte.
Ich brauche am Freitag kein Gespräch mehr zu führen, um drüber wegzukommen. Ich kann mich mit Arne alleine verabreden. In einer Kneipe. Und dann drauf warten, bis er wieder irgendeine Schweinerei sagt. So was wie: «Es wundert mich immer wieder, wie wenig Substanz du hast.» Irgend so was. Es braucht ja nicht dasselbe zu sein. Aber wenn ich es geschickt anstelle, dann bringe ich ihn dazu, sich eine Sauerei zu leisten. So gut kenne ich ihn nun inzwischen, daß ich weiß, welche Themen ich anschneiden müßte, um ihn zu frauenfeindlichen Statements zu provozieren. Er ist berechenbar in seinem maßlosen Chauvinismus. Das ist das Gute an ihm. Auf seinen Chauvinismus kann frau sich verlassen. Und dann scheuer ich ihm eine. Setze mich vorher extra so hin, daß ich gut mit rechts ausholen kann und die Ohrfeige auch gut sitzt. Daß es ordentlich klatscht. Nicht so lasch wie das letzte Mal. Als ich ihm bei mir zu Hause eine gescheuert hab, das war ja fast gestreichelt. Das war ja nur, um ihm mal zu zeigen, daß ich das überhaupt kann: ihm eine scheuern.
Aber diesmal soll es richtig knallen und ihm peinlich sein. Deshalb will ich es auch in der Öffentlichkeit machen. In der Kneipe.
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