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Der Tod des Teemeisters

Der Tod des Teemeisters

Titel: Der Tod des Teemeisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasoushi Inoue
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antwortet mir schon seit zehn Jahrennicht mehr, auch wenn ich immer wieder das Wort an ihn richte. In meiner Anfangszeit hier im Shūgaku-in habe ich jeden Tag – ach, was rede ich – von morgens bis abends seine Stimme gehört und mit ihm gesprochen. Heute erscheint mir das wie ein Traum. Allmählich jedoch wurden die Abstände, in denen ich ihn ansprach, größer und seine Antworten entsprechend seltener. Das ist wohl der unaufhaltsame Lauf der Dinge. Dreißig Jahre sind verstrichen, seit mein Meister in die andere Welt gegangen ist. Dreißig Jahre seit dem Tod Sōkyū s, einunddreißig seit dem von Sōji, und Sōkiu ist schon achtundzwanzig Jahre nicht mehr unter uns. Es waren schwierige Zeiten, nachdem nacheinander alle großen Teemeister gestorben waren.
    Irgendwann hat Herr Uraku mir einmal halb im Scherz erzählt, daß Sōkyū möglicherweise gegen meinen Meister intrigiert habe, und ich erinnerte mich, daß es zwischen den beiden tatsächlich eine Unstimmigkeit gegeben hatte. Aber auch davon haben die verflossenen dreißig Jahre jede Spur hinweggewaschen.
    Herr Ujisato weilt schon lange nicht mehr auf dieser Welt, ebenso wie Ehrwürden Kōkei vom Daitokuji. Beide müssen schon zwanzig Jahre tot sein. Der Kummer über Herrn Oribes Freitod und Herrn Ukons Verbannung sind jedoch bis heute nicht aus meinem Herzen verschwunden. Beides liegt sechs Jahre zurück. Der ehrenwerte Teeliebhaber Herr Tōyōbō starb vor dreiundzwanzig Jahren und Herr Kōsetsusai vor zwölf. Die Zeit verschlingt alles, spült alles spurlos davon. Sie ist furchterregend, gnadenlos. Nicht lange und auch ich, Honkakubō, werde, ohne eine Spur zu hinterlassen, vom Fluß der Zeit hinweggeschwemmt werden.
    Bis zum Abend erinnerte ich mich an viele Gespräche, die ich mit Herrn Uraku geführt hatte, eines davon, ich weiß nicht mehr genau, wann es stattgefunden hat, beschäftigte mich besonders.
    »Welche war wohl Meister Rikyūs vollkommenste Teezeremonie? Dazu würde ich gern Eure Meinung hören, mein lieber Honkakubō.«
    Ich nannte ihm eine Zeremonie, bei der Herr Sōkyū Meister Rikyūs einziger Gast gewesen war. Sie fand im Morgengrauen mitten im kältesten Winter statt. Herr Sōkyū traf zur Stunde des Tigers 50 ein, just als es anfing zu schneien. Als ich so weit erzählt hatte, unterbrach mich Herr Uraku.
    »Das ist doch keine Teekunst! Ein Teemensch, der mit einem anderen Tee trinkt, und zudem schneit es noch – wie abgeschmackt. Ich habe nur ein einziges Mal in meinem Leben einer echten Teezeremonie beigewohnt.«
    Damit schnitt er mir das Wort ab und begann seine eigene Geschichte zu erzählen.
    »Einst empfing ich Seine Exzellenz Kimura Shigenari, Statthalter von Nagato in meiner Teeklause. Ein halbes Jahr später sollte er während der Schlacht um Ōsaka frühzeitig in Kawaguchi ums Leben kommen. Er sah seinen Tod bereits voraus. Ich begriff sogleich, daß dies seine letzte Gelegenheit zu einer Teezeremonie war. Wie soll ich sagen, es war die Zeremonie, bei der er sich zu sterben entschied und gewissermaßen seinen Tod gelobte. Und ich durfte ihm zur Seite stehen. Das, so dachte ich damals, ist der wahre Weg des Tees.«
    Ich sah Herrn Urakus ungewöhnlich ernstes Gesicht vor mir. Selten hatte er seine Gefühle so offen gezeigt. Dieswar eine große Ausnahme. Kimuras Haltung mußte ihn sehr beeindruckt haben. Im Gegensatz zu ihm soll Herr Uraku vor der Belagerung im Sommer aus der Burg Ōsaka geflohen sein. Vielleicht war ihm klar geworden, daß er niemals so tapfer wie Statthalter Kimura sein würde. Während ich meine Gedanken so schweifen ließ, fiel mir ein, daß Meister Rikyū mir einmal etwas Ähnliches erzählt hatte.
    »Im vierten Jahr Eiroku 51 hielt ich in Sakai eine Zeremonie für Miyoshi Jikkyū – Butsugaiken – ab, der seinen Tod für das kommende Jahr voraussah. Vom Augenblick seiner Ankunft bis er sich verabschiedete, hatte unsere Zeremonie etwas Einmaliges. Ich, der Gastgeber, war zwar fünf oder sechs Jahre älter, aber mit meinem Gast konnte ich mich nicht messen«, hatte Meister Rikyū ebenso wie Herr Uraku erklärt. Er berichtete mir auch noch von einer anderen Teezeremonie mit Takayama Ukon. »Ukon ist dreißig Jahre jünger als ich, aber heute konnte ich mich nicht mit ihm messen. Und nicht nur heute. Es ist immer das gleiche. Er hat seinem Ich entsagt und ist am Ende angelangt. Seine außerordentliche Gelassenheit ist unerreicht«, sagte er eines Abends im zwölften Monat des Jahres Tenshō achtzehn 52 ,

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