Der Tod des Teemeisters
es wieder so. Die Bezeichnung »Weg ins Jenseits« war treffend. Von dieser Welt schien der Weg jedenfalls nicht zu sein. Wieder herrschte das gleiche düstere Zwielicht, das weder Tag noch Nacht war.
Falls ich mich also erneut auf diesem Traumpfad befand, mußte eigentlich auch mein Meister irgendwo sein. Wahrhaftig, er ging vor mir her! Ganz von selbst kam er mir in den Sinn. Dort ging mein Meister! Beim letzten Mal hatte der Traum damit geendet, daß ich mich tief vor ihm verbeugt und wortlos Abschied genommen hatte. Doch in Wirklichkeit hatte ich es mir anders überlegt und war ihm gefolgt, statt mich von ihm zu trennen. Wie hätte ich meinen Meister ganz allein auf diesem jenseitigen, einsamen Weg zurücklassen können? Diesmal hielt ich größeren Abstand und folgte ihm.
In dem alten Traum hatte ich das unheimliche Gefühl gehabt, der Weg führe vom Myōkian in die Hauptstadt. Der Weg, auf dem mein Meister und ich jetzt gingen, führte in die Hauptstadt hinein, mitten durch die Villa Juraku hindurch, aus Kyōto hinaus und endlos geradeaus weiter. Weit, weit vor mir wanderte die einsame Gestalt meines Meisters. Da ich ihn aus den Augen verloren hatte, vermochte ich auch seine Schritte nicht zu hören. Obwohl ich längst von ihm getrennt war, sorgte ich mich um ihn und begleitete ihn.
Wir waren schon vor langer Zeit aus dem Myōkian inYamazaki aufgebrochen. Wie weit würde dieser Weg noch führen, der ausschließlich für meinen Meister bestimmt zu sein schien? Niemand außer ihm benutzte ihn. Wer sonst wäre imstande, einen solch einsamen Weg zu gehen?
»Meister! Wohin geht Ihr? Wohin wollt Ihr?« rief ich ihm in Gedanken nach. Dabei stolperte ich und verletzte mir den Fuß. Im selben Moment vernahm ich deutlich das Rauschen des Takano, das mir bis dahin entgangen war. Zugleich wurde mir bewußt, daß ich mich auf dem Heimweg zum Shūgaku-in befand. Das dämmrige Licht war ebenso verschwunden wie der öde, kalte Pfad. In der Dunkelheit vor mir lag nur noch der gewohnte, von Steinen und Äckern gesäumte Feldweg.
Es war mitten in der Nacht im zwölften Monat, und es herrschte Frost, kein Wunder, daß ich fast an Leib und Seele erfroren war.
Von Kälteschauern geschüttelt, schleppte ich mich den kleinen Pfad zum Shūgaku-in hinauf und warf mich auf den gestampften Boden meiner Klause. Wenig später legte ich mich an das Feuer, das eine Nachbarsfrau für mich entfacht hatte, und schlief bis zum nächsten Morgen. Zwei Tage lang hatte ich hohes Fieber.
Neunundzwanzigster Tag, zwölfter Monat
Klares Wetter
Heute morgen habe ich mein Lager verlassen und den ganzen Tag untätig am Feuer gesessen. In den letzten vier oder fünf Tagen brachte mir die Nachbarin das Essen, doch heute habe ich mir zum ersten Mal selbst Reisbrei gekocht. Bis gestern hatte ich kaum Appetit, aber nun befinde ich mich wohl mehr oder weniger auf dem Wege der Besserung. Natürlich hätte ich mich hüten müssen,bei diesem Winterwetter auszugehen. Im nachhinein ist klar, daß ich mir eine Erkältung holen mußte.
Vielleicht liegt es daran, daß ich dem Geist von Herrn Uraku nicht Lebewohl sagen konnte, wenn ich heute immer wieder an ihn denken muß und so den ganzen langen Wintertag in seiner Gesellschaft verbracht habe. Er gehörte zu den wenigen, die Meister Rikyū noch gekannt haben. Von den Samurai, mit denen er befreundet war, ist wahrscheinlich nur noch Hosokawa Sansai am Leben. Allerdings hatte ich von Herrn Uraku gehört, daß Imai Sōkun in Sakai sich recht wohl befinde, aber ob das noch immer so ist? Da ich Herrn Sansai und ihn zu Meister Rikyūs Lebzeiten nicht gekannt habe, hatten wir uns, als wir uns später begegneten, nicht viel zu sagen. Ein richtiges Gespräch kam nie zustande.
Herrn Uraku bin ich das erste Mal im zehnten Monat im Jahre Genma drei 49 begegnet, als er seinen Teepavillon Joan am Shōden-in baute. In den darauffolgenden vier kurzen Jahren unserer Bekanntschaft war er, sooft wir uns begegneten, sehr freundlich zu mir, wie es seinem Naturell entsprach, und erzählte mir stets ein oder zwei Begebenheiten aus Meister Rikyūs Leben. Dabei wirkte er zwar distanziert, aber ich bin sicher, im Innersten war er Meister Rikyū wärmstens zugetan. Sein Hinscheiden bedeutet auch in dieser Hinsicht einen unersetzlichen Verlust für mich. Man hat ihm im Shōden-in ein Grab errichtet, das ich, sobald der Frühling kommt, zu besuchen hoffe.
Gern würde ich mit Meister Rikyū über Herrn Urakus Tod sprechen, aber er
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