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Der Tod des Zauberers

Der Tod des Zauberers

Titel: Der Tod des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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machen und nicht mehr an diese verfluchten Dinge denken! Ich möchte auch eine nette Erinnerung an diesen Tag nach Hause mitnehmen.«
    »Ja, wenn man die Gedanken abschalten könnte wie eine Lampe!«
    »Man kann es — es ist nur eine Sache des Trainings.«
    »Dann will ich es versuchen.«
    »Lauf voraus, ich hole derweil mein Badezeug aus dem Wagen und ziehe mich in Alexanders Zimmer um. Bis dahin...«
    »Bis dahin«, sagte sie, hob sich auf die Zehenspitzen und drückte mir, rasch wie der Schlag eines Schwalbenflügels, einen Kuß auf den Mund.
    »Es war sehr lieb und anständig von dir, daß du mit mir so offen gesprochen hast, Onkel Paul. Ich weiß nicht, ob du die Absicht hast, auch mit Vimmy über diese Dinge zu sprechen?«
    »Nein, sie würde sich nur noch mehr beunruhigen. Wenn ich ihr etwas sagen werde, dann höchstens, daß du eine ganz verteufelte Art an dir hast, ältere Herren in Verwirrung zu bringen.«
    »Jetzt kokettierst du mal wieder mit deinen lächerlichen achtunddreißig Jahren. Soll ich dir ein Kompliment machen, daß du aussiehst, als ob du gerade gestern dreißig geworden bist, oder soll ich dir sogar gestehen, daß ich eine Schwäche für Männer in deinem Alter habe?«
    »Du bist wirklich ein Biest, Alex hat vollkommen recht. Und jetzt mach, daß du verschwindest!«
    Sie streifte den Bademantel von den Schultern und warf ihn auf einen Schemel. »Servus, Onkel Paulchen!«
    Sie deutete einen Knicks an, lächelte mir zu und verschwand. Ich sah ihr kopfschüttelnd nach. Achtzehn Jahre alt — oder demnächst neunzehn, dachte ich ein wenig verwirrt und spürte, daß mein Herz rascher schlug. Etwa ein Kind? Alles andere als das! Und waren nicht unsere Mütter und Großmütter in diesem Alter meist längst unter der Haube gewesen und hatten mit neunzehn Jahren schon ein oder zwei Kinder zu versorgen gehabt? Und sah ich mit meinen achtunddreißig nicht bedeutend jünger aus als mein Vater mit fünfundzwanzig, der damals über dem stattlichen Bauch einen wallenden Vollbart trug? Und war ich nicht auch tatsächlich heute noch jünger als er mit dreißig, ein bierfreudiger Amtsrichter, der die unerhörte Zumutung, Rad zu fahren, Sport zu treiben, Tennis zu spielen oder gar in den Bergen herumzukraxeln, entrüstet abgelehnt hätte? Aber, zum Teufel, was sollten diese Gedanken? Wo führten sie mich hin? Wollten sie mich etwa vergessen machen, daß Hansi fast meine eigene Tochter hätte sein können und daß mir ihr gegenüber keine andere Rolle als die eines väterlichen Freundes zustand?
    Ich ging zum Wagen, holte meine Badehose, die im Sommer immer auf den Rücksitzen lag, und zog mich in Alexanders Zimmer um. Auf seiner Wäschekommode, einem kunstvoll geschnitzten Möbel aus Nußbaumholz, das in Elfenbeinintarsien die Jahreszahl 1653 trug, stand in einem schmalen Silberrahmen Victoria Textors Bild. Ich beugte mich zu dem Foto herab, Victoria lächelte mir entgegen, ihr Mund war leicht geöffnet, als sei sie gerade im Begriff, etwas zu sagen. Es war eine Amateuraufnahme, der vergrößerte Ausschnitt aus einem Film, den ich selber geknipst hatte, vor zwei Sommern, als wir hinter dem Haus unter dem Walnußbaum eine Pfirsichbowle angesetzt und den Kauf eines Correggio gefeiert hatten, hinter dem Stephan Textor jahrelang hergejagt war. Mein Gefühl sträubte sich verzweifelt gegen den Gedanken, Victoria könne etwas mit dem Tod Manuelis zu tun haben, aber in meinem Hirn kreisten Hansis angstvolle Worte wie ein Stein, den man an einer Schnur um den Finger wirbelt: »Hör auf, um Gottes willen hör auf!« Sie wußte etwas, das sie mir nicht sagen konnte und nicht sagen durfte.
    Aber mochte es in drei Teufels Namen in ferner Vergangenheit irgendeine Beziehung zwischen Manueli und Victoria gegeben haben, mochte sie sogar einen Grund haben, ihn zu hassen und ihm vielleicht den Tod zu wünschen, eines stand für mich fest: Victoria Textor war nicht die Frau, die einen Menschen kaltblütig über den Haufen schoß.
    Hansi saß auf dem Badesteg, dessen Pfähle Stephan Textor und ich in den Grund gerammt und dessen Planken wir selber gelegt hatten, und ließ die Füße ins Wasser baumeln. Sie verfütterte ein Stückchen Brot an die Elritzen, die nach jedem Bröckchen in Scharen herbeischossen und um das Futter kämpften, daß das Wasser zu brodeln schien. Ich näherte mich dem Steg mit angezogenen Zehen, denn der Kies war für meine Stadtfüße spitz wie Glassplitter, und gegen Hansis Bräune kam ich mir mit meiner

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