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Der Tod des Zauberers

Der Tod des Zauberers

Titel: Der Tod des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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entsprach, und aus einem gewissen frivolen Charme, der weit außerhalb ihrer Erfahrungsmöglichkeiten lag. Wenn ich mir überlegte, mit welcher Sicherheit sie ihr Ziel angesteuert hatte, mich zu erobern, dann konnte mir ein wenig bang werden. Manchmal war sie entzückend jung, und dann warf sie wieder Worte und Sätze ins Gespräch, die klangen, als hätte sie sie druckfertig bezogen. Ich hatte diese Art, sich zu geben, nie an ihr bemerkt, wenn sie sich in einer größeren Gesellschaft mit mir unterhielt, und immer an ihr ein wenig erschreckt feststellen müssen, wenn wir allein waren. Sie schien mich wahrhaftig für einen tollen Kerl zu halten und bildete sich vielleicht ein, sie müsse sich vor mir als Vamp produzieren, um mir zu imponieren. Aber wie sie sich auch geben mochte und was für Absichten sie damit verfolgte, sie war das bezauberndste Geschöpf, das mir je im Leben begegnet war — und wenn ich das Glück, von ihr geliebt zu werden, nicht so dankbar und tief empfinden und erwidern konnte, wie sie es verdiente, so lag es nur daran, daß ich mit meinem Wissen um die Bedrohungen der Zukunft alleinstand und schwer daran zu tragen hatte. Gegen neun Uhr begleitete ich Hansi ins Foyer und verabschiedete mich vor dem Lift von ihr, der sie zu ihrem Zimmer hinauftrug.
    Ich war daheim gerade dabei, mich umzukleiden, als der erwartete Anruf von Schwester Mechthildis aus der Klinik kam. Sie bestellte mir, Herr Textor ließe mir sagen, ich möge das bewußte Schriftstück weiterleiten. Es war auf meiner Uhr eine Viertelstunde vor zehn, als sie mir Textors Botschaft ausrichtete, und ich gestehe, daß ich den Hörer mit Erleichterung niederlegte. Stephan Textors doppeldeutige Worte hatten mich furchtbar beunruhigt, und wenn ich mir auch nicht vorzustellen vermochte, wie er unter der ständigen Bewachung und Betreuung der Pflegerin sich der letzten Verantwortung entziehen konnte, so hatte ich doch insgeheim befürchtet, statt der erwarteten Nachricht eine andere, schlimmere zu hören.
    Ich beeilte mich, aus dem Haus zu kommen. Der Pförtner im Polizeipräsidium schien mich erwartet zu haben, denn als ich ihm meinen Namen nannte, gab er mir die Nummer von Wildermuths Zimmer. Ich betrat es zum erstenmal und hatte es mir unkomfortabler und büromäßiger vorgestellt, mit den üblichen gelben Möbeln und traurigen Aktenhunden, die man in Amtsräumen anzutreffen pflegt, aber es ähnelte mit dem roten Plüschteppich, dem großen Diplomatenschreibtisch und den Bücherschränken aus dunkel gebeizter Eiche eher einem privaten Herrenzimmer alten Stils. Wildermuth, der Aktenstöße vor sich liegen hatte und einen davon gerade bearbeitete, kam mir entgegen und nötigte mich in einen Ledersessel. Er bot mir eine Zigarette an und entkorkte eine halbgefüllte Kognakflasche. Gläser auf kleinen Messinguntersätzen standen schon bereit.
    »Es ist kein Schnaps für schwierige Verhandlungspartner«, bemerkte er, »kein einfacher Zungenlöser, sondern eine ziemlich anständige und durchaus trinkbare Marke für den eigenen Gebrauch. Nur ein wenig allzu warm, fürchte ich. Aber Eisschränke sind im fiskalischen Bereich nicht üblich. Nicht einmal elektrische Kocher sind erwünscht.«
    Er deutete auf eine Glaskugel mit einem Spiritusbrenner, die auf einer kleinen Auszugplatte stand. »Sagen Sie es ungeniert, wenn Sie einen Kaffee haben möchten. Meine Kollegen behaupten, ich sei ein ausgezeichneter Kaffeekoch.«
    Er sah abgespannt aus und rieb sich die leicht entzündeten Augen mit den Spitzen der Mittelfinger. Eine Lesebrille, die er kurz nach meinem Eintritt abgenommen hatte, lag mit steil aufgestellten Bügeln vor ihm.
    »Und was bringen Sie, mein Lieber?«
    »Lesen Sie es selbst, dann brauche ich es Ihnen nicht zu erzählen.« Ich entnahm meiner Brieftasche den Umschlag mit Stephan Textors Geständnis und reichte ihn Wildermuth hinüber.
    »Das klingt nicht gerade nach erfreulichen Nachrichten«, murmelte Wildermuth und schlitzte den Umschlag mit einem Miniaturdegen auf.
    Er griff nach seiner Lesebrille, aber komischerweise schob er sie auf die Stirn, als er etwa die Hälfte des ersten Bogens überflogen und auf der letzten Seite Stephan Textors Unterschrift und Nachbemerkung gelesen hatte. Ich sah, daß er noch einmal von vorn zu lesen begann und dieses Mal Zeile für Zeile sorgfältig aufnahm. Ich saß ihm stumm gegenüber, spielte mit meinem Kognakglas und verfolgte den Flug eines braunen Nachtschmetterlings, der durch das geöffnete

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