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Der Tod des Zauberers

Der Tod des Zauberers

Titel: Der Tod des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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gegeben, mich kurz vor zehn anzuläuten?«
    »Oh, Herr van Doorn, das war bald, nachdem Sie Herrn Textor verlassen hatten.«
    »Und dann?« schrie ich in den Apparat.
    »Dann«, sagte sie, durch meine ihr völlig unverständliche Lautstärke merkbar verletzt, mit ihrer sanftesten Stimme, »dann bat er mich, ihn heute nicht mehr zu stören, da er zum erstenmal seit vielen Tagen das Gefühl hätte, er würde gut und tief schlafen. Und da habe ich ihn denn auch nicht mehr gestört.«
    In dem Augenblick, in dem der Hörer in meiner Hand schwer wie Blei wurde und meine Stimme mir nicht mehr gehorchte, schaltete Wildermuth sich ein.
    »Hören Sie, Schwester Mechthildis«, sagte er ganz ruhig, und es mag sein, daß Schwester Mechthildis den Wechsel des Gesprächspartners gar nicht bemerkte, »es ist nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich, daß ein Unglück geschehen ist. Gehen Sie bitte sofort zu Herrn Textor und schauen Sie nach, ob er tatsächlich schläft oder ob er, was ich fast befürchte, sich etwas angetan hat.«
    »Aber das ist doch nicht möglich!« hörte ich sie rufen, »Herr Textor ist doch gar nicht in der Lage...«
    »Ich meine, daß er vielleicht zu viel Schlaftabletten genommen hat«, unterbrach Wildermuth ihren Protest.
    »Auch das halte ich für ausgeschlossen. Herr Textor hat niemals mehr als zwei Veronal pro Tag bekommen, und die habe ich ihm selber gegeben.«
    »Eingegeben oder nur hingelegt?« fragte Wildermuth ruhig.
    »Natürlich nur hingelegt«, antwortete sie unsicher.
    »Sehen Sie, Schwester, genau das habe ich angenommen. Und es wäre doch nicht unmöglich, daß Herr Textor sich eine kleine Tablettensammlung zugelegt haben könnte, nicht wahr? Also seien Sie jetzt so gut, und schauen Sie bei ihm nach. Ich warte so lange!«
    Es lag so viel Sicherheit und Autorität in seinem Tonfall, daß sich auch jemand anderer als die sanfte Schwester Mechthildis seinem Wunsch nicht länger widersetzt hätte. Wir saßen uns gegenüber, die Hörer ans Ohr gepreßt. Wildermuth schenkte mit der freien Hand die Gläser voll und schob mir meines hinüber.
    »Los, mein Lieber, trinken Sie! Wir haben beide eine kleine Stärkung nötig.«
    Wir tranken und warteten. Der Kognak, allzu warm, brannte in den Magen hinab. Der Nachtfalter trommelte nun von innen gegen den Lampenschirm; immer wieder rannte er an die Glühbirne und prallte von ihr, durch die Hitze rasend gemacht, an das gelbe Pergament, ein dröhnender Schatten. Meine Uhr am Handgelenk tickte laut, und ich verfolgte den Lauf des Sekundenzeigers, der eilig seine Runden machte. Drei oder vier Minuten vergingen. Manchmal knackte und rauschte es in der Membran. Einmal war es mir, als hörte ich das Klappern von Geschirr. Aber niemand nahm drüben den Hörer auf.
    Weshalb meldete sich niemand? Ich spürte, wie mir das Hemd an der Brust und am Rücken zu kleben begann. Wildermuth starrte blind an mir vorbei. Und ich wußte so gut wie er, weshalb sich niemand rührte und weshalb der Apparat stumm blieb.
    Der Arzt vom Dienst und die Nachtschwestern hatten alle Hände voll zu tun, um Textor den Magen zu spülen, Analeptika zu spritzen, Klysmen anzusetzen und Stephan Textor mit künstlicher Atmung und Sauerstoffzufuhr ins Leben zurückzurufen, falls überhaupt noch eine Hoffnung bestand, ihn zu retten.
    Meine theoretischen Kenntnisse in diesen Dingen waren dank der gerichtsmedizinischen Vorlesungen, die ich seit Jahren aus Berufsinteresse regelmäßig besuchte, ziemlich gründlich. Allzu gründlich für diese Minuten des Wartens, in denen meine Phantasie mir die Symptome, die Schwester Mechthildis bei meinem Freund Stephan Textor vorgefunden hatte, in allen Details vorspiegelte. Als stände ich neben seinem Bett, so deutlich sah ich ihn vor mir liegen, bewußtlos, bläulich verfärbt, mit eiskalten Händen, starren Pupillen und flachem oder schon erloschenem Atem... Und dann näherten sich endlich Schritte dem Telefon, aber es war nicht das Rauschen und Knistern von Schwester Mechthildis’ Gewand und Flügelhaube. Eine männliche Stimme rief: »Hallo, sind Sie noch am Apparat?«
    »Was ist mit Textor los?« fragte ich erregt.
    »Wie sind Sie auf die Vermutung gekommen, der Patient könne sich vergiftet haben?« kam die Gegenfrage. »Hier spricht Doktor Körner.«
    Und wieder nahm Wildermuth mir das Gespräch ab.
    »Hier spricht Kriminalrat Wildermuth vom Polizeipräsidium — ich hatte verschiedene Ursachen für meine Vermutung, die ich Ihnen im

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