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Der Tod des Zauberers

Der Tod des Zauberers

Titel: Der Tod des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Fingerspitzen aus den Ärmeln ragten, kam sie mit zerstrubbeltem Haar und zornigem Gesicht auf mich zu. In der linken Hand reckte sie mir einen Gegenstand entgegen, den ich im Augenblick nicht erkennen konnte.
    »Hallo, Hansi, was ist los?«
    »Das ist los!« fauchte sie mich an. »Der Herr, mit dem du dich heute verabredet hast, hat seinen Lippenstift bei dir liegenlassen!«
    Es war ein Lippenstift, den ich mir im letzten Fasching gekauft hatte, um auf dem Gauklerball zu meinem Clowngewand eine rotgefärbte Nase und rote Ohren zu tragen.
    »Zum Teufel! Was geht es dich an, wer hier seinen Lippenstift vergißt? Mach, daß du ’rauskommst und leg das Ding hin, wo du es gefunden hast!«
    Einen Augenblick lang glaubte ich, sie würde mir den Stift in der schwarzen Bakelithülse vor die Füße schleudern, aber dann warf sie ihn durchs offene Fenster in den Park hinaus.
    »Du hast also eine Geliebte!« sagte sie starr.
    Ich mußte mich beherrschen, um nicht herauszulachen.
    »Ich wußte nicht, daß du neben Fontane auch noch alte Romane aus der >Gartenlaube< liest«, murmelte ich ironisch. »Aber schön, nimm an, ich hätte eine Freundin, was würde dich daran stören? Fändest du es so außergewöhnlich? Oder hättest du etwas dagegen einzuwenden?«
    Sie tat mir ein wenig leid, wie sie da in dem schäbigen alten Morgenmantel vor mir stand, der ihr viel zu weit war, und die in den Ärmeln versteckten Hände über der Brust kreuzte, als fröre es sie. Ihre Augen waren vor Eifersucht fast schwarz.
    »Wirst du sie heiraten?« fragte sie, als hätte sie meine Worte, mit denen ich mir nur ihre Einmischung in meine intimsten Angelegenheiten verbat, überhaupt nicht gehört. Sekundenlang hatte ich die Absicht, das Spiel fortzusetzen, eine Freundin zu erfinden und einen ganzen Roman darum zu spinnen, aber dann sah ich zwei Tränen, die dick in ihren Wimpern hingen und langsam, als wären sie aus Glyzerin und für eine tragische Filmszene hergerichtet, über ihre Wangen rollten.
    »Verdammt noch einmal!« sagte ich aufgebracht. »Ich habe weder eine Freundin noch eine Geliebte und niemand, den ich heiraten will, hörst du? Und den Lippenstift habe ich mir im Fasching gekauft, um meine Nase damit anzustreichen. Und nun verschwinde schleunigst und mach dich fertig, ich möchte mich nämlich auch noch rasieren und umziehn!«
    Sie fuhr sich mit dem Ärmel meines Mantels über die Augen und rührte sich nicht von der Stelle. Sie sah erbarmungswürdig zart und unglücklich aus. Mir war äußerst unbehaglich zumute, und gleichzeitig erfüllte mich ein Gefühl zärtlicher Hinneigung und der Wunsch, sie in die Arme zu nehmen. Aber wo sollte das hinführen? Victorias Tochter, die den Jahren nach fast meine eigene Tochter hätte sein können... Ich trat einen kleinen Schritt zurück und fand an meinem Schreibtisch Halt. Die Sonne, die schon tief im Westen stand, warf zwei goldene Lichtbahnen schräg ins Zimmer und entflammte die bunten Bücherrücken auf dem Regal. Die Fenster spiegelten sich winzig in Hansis Augen.
    »Weshalb machst du es mir so schwer?« fragte sie leise und hob das Gesicht zu mir empor. »Weshalb kommst du mir nicht ein bißchen entgegen?«
    »Weil ich für uns beide vernünftig sein muß.«
    »Weshalb vernünftig? Etwa wegen der paar Jahre, die du mir voraus hast?«
    »Du scheinst zu vergessen, daß es zwanzig sind!« sagte ich und spürte mit einiger Beklemmung, wie mein Widerstand immer mehr dahinschmolz. Hansi ließ die Arme sinken, sie stand mit geschlossenen Augen vor mir und sehr blaß.
    »Ich liebe dich, solange ich überhaupt zurückdenken kann«, sagte sie leise. »Schon als ganz kleines Mädchen habe ich mir immer gewünscht, dich zu heiraten. Und später habe ich deinen Wagen untersucht und tagelang geheult, wenn ich einen fremden Kamm oder ein Damentaschentuch oder einen Lippenstift am Boden oder in den Sitz verklemmt fand.«
    »Du bist wahrhaftig verrückt«, stammelte ich benommen.
    »Verrückt vor Eifersucht«, schluchzte sie. »Sofie weiß es, wie ich dich liebe. Sie weiß überhaupt alles. Bei ihr habe ich mich immer ausgeheult, und sie hat mich immer getröstet, und sie hat gesagt, zwanzig Jahre wären gar kein so himmelweiter Unterschied. Und sie hat mir hundertmal die Karten gelegt, und immer sind sie für mich gut aufgegangen, auch wenn manchmal die Karodame oder sogar die Pikdame zwischen uns lagen. Aber Sofie hat immer gesagt, das hätte nichts zu bedeuten, und sie ständen dir gar nicht richtig

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