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Der Tod des Zauberers

Der Tod des Zauberers

Titel: Der Tod des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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paar Zeilen, die an Frau Textor gerichtet sind. Ich habe diesen Brief in Verwahrung genommen.«
    Wildermuth räusperte sich scharf. »Ich bitte Sie darum, mir diesen Brief vorzulesen! Und ich bitte Sie ferner darum, den Brief sorgfältig aufzubewahren. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß dieser Brief von mir für die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wird. Ich lasse ihn umgehend durch einen Beamten abholen.«
    »Verstehe. Da ich den Brief bei mir trage, kann ich ihn Ihnen vorlesen.« Eine Pause von wenigen Sekunden und dann: »Liebste Vicky, Dir und den Kindern diese letzten Zeilen. Das Schreiben strengt mich sehr an. Du weißt, weshalb ich gehe. Du mußt Dich den Kindern erhalten, mein Herz, denn sie brauchen Dich, die Mutter, weit notwendiger als mich. Mein Leben ist sinnlos geworden. Ich bin kein Mann für den Rollstuhl. Dank Dir, Alex und Hansi für viele reiche und glückliche Jahre. Meine letzten Gedanken sind bei Dir. Was geschehen ist, ist gut. Lebt wohl! In Liebe, Dein Stephan.«
    Wildermuth hatte mitstenographiert.
    »Ich danke Ihnen, Herr Doktor.«
    Er hängte ein, und ich reichte ihm meinen Hörer hinüber. Endlich kam er dazu, sich seine Zigarre anzuzünden. Er rauchte sie mit dem gleichen Zeremoniell wie die erste an. Es war unerträglich warm im Zimmer. Ich trocknete mir Gesicht und Hals und hatte das scheußliche Gefühl, an meinem Stuhl festzukleben.
    »Ja«, sagte Wildermuth und starrte auf sein Stenogramm, »dieser Brief von Stephan Textor ist so doppeldeutig und kunstvoll undurchsichtig, daß er eindeutig und klar auf Victoria Textor als Manuelis Mörderin hinweist. Oder sind Sie etwa anderer Meinung?«
    Ich schwieg schweren Herzens.
    »Du weißt, weshalb ich gehe«, wiederholte er. »Was heißt das anderes als: Ich weiß, daß du Manueli erschossen hast, aber es ist wichtig, daß du weiterlebst; denn die Kinder brauchen dich notwendiger als mich, der ich Furcht habe, mein Leben im Rollstuhl verbringen zu müssen. — >Was geschehen ist, ist gut.< Das heißt doch nichts anderes als: Du hast Manueli getötet, aber damit hast du eine Tat vollbracht, die ich gutheiße und die ich dir gern abgenommen hätte, wenn ich weniger Hemmungen und weniger Besonnenheit besessen hätte.«
    Wildermuth blickte auf, schob die Lesebrille in die Stirn und sah mich an.
    »Nun, alter Freund, ich habe Sie gefragt, ob Sie etwas anderes aus diesen Zeilen lesen? Wollen Sie mir durch Ihr Schweigen bestätigen, daß Sie meiner Meinung sind?«
    »Ich weiß überhaupt nichts mehr«, antwortete ich müde. »In meinem Schädel drehen sich hundert Räder. Ich habe nur noch einen Wunsch: zu schlafen und aus diesem verdammten Karussell wenigstens für ein paar Stunden herauszukommen.«
    »Nehmen Sie noch einen Schnaps? Es ist nicht das Schlechteste, was man tun kann: sich ein wenig zu besaufen, wenn man vor lauter Bäumen keinen Wald mehr sieht.«
    »Danke, nein, der Schnaps macht mich nur munterer. Ich würde bis morgen früh hellwach um meine eigene Achse rotieren. Und so viel, daß man umfiele, ist in der Flasche nicht mehr drin. Leben Sie wohl!« Wildermuth erhob sich, um mich zur Tür zu begleiten. Er streckte sich und müllerte mit den Armen, um den gestockten Blutkreislauf in Schwung zu bringen.
    »Also gute Nacht. Ich warte noch auf den Ausgang einer kleinen Aktion, mit der wir ein Falschmünzernestchen ausheben wollen. Ein Fotograf und ein Kunstmaler, aber beide nicht so begabt, daß sie der staatlichen Notenpresse ernsthaft Konkurrenz machen könnten. Wie spät haben Sie es?«
    »Fünf vor zwölf.«
    »Dann klappt die Falle in fünf Minuten zu. Aber schade, daß Sie mir meine Frage nicht beantwortet haben, was Sie von Textors erstem Selbstmordversuch halten. Meinen Sie nicht, daß es ebensogut ein simpler Unfall gewesen sein könnte und von ihm erst in dem Moment, als er sich zum zweiten Selbstmord entschloß, um seine Furcht vor dem Krüppeldasein mit der Rettung seiner Frau zu verbinden, zu einem ersten Selbstmordversuch ausgedeutet und umgefälscht wurde? Sein Geständnis bekommt dadurch einen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad.«
    Er legte mir die Hand zum Abschied auf die Schulter.
    »Lauter graue Theorie, mein Lieber! Aber denken Sie doch einmal, falls Sie tatsächlich nicht einschlafen können, über die vierte Möglichkeit nach. Sie entsinnen sich doch: keiner von beiden... Wäre es nicht eine dankbare Aufgabe für Sie, den wahren Täter zu entdecken? Ich sehe schon die Schlagzeile in der >Nachtpost<, um die Ihr

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