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Der Tod des Zauberers

Der Tod des Zauberers

Titel: Der Tod des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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gehst. Trink den Rest aus, ich werde dir inzwischen ein neues Bettuch geben und die Steppdecke frisch überziehen.«
    Hansi kippte den Rest tapfer herunter und stand auf. Sie schwankte ein wenig. Es waren immerhin vier normale Whisky, die sie als Schlaftrunk eingenommen hatte. Ich führte sie in mein Schlafzimmer hinüber und nahm ihre Schuhe und Strümpfe und den Hauch Nylon mit.
    »Der Schnaps ist wirklich gut«, sagte sie und hickste ein bißchen. »Man wird ganz frei und leicht davon... Du mußt mir von jetzt an dauernd Whisky geben, Paul, hörst du?«
    »Ja, mein Liebling, alle Stunde einen.«
    Sie kroch unter die Decke und hob mir die Lippen entgegen.
    »Also — dann schlaf gut, mein Mädchen.«
    Ich küßte sie und löschte die Deckenlampe. Drüben setzte ich mich vor die Flasche. Wir hatten fast die Hälfte geleert, aber ich verspürte keine Wirkung. Im Gegenteil, ich war, als ich noch ein Glas getrunken hatte und mich nach einer Stunde niederlegte, überwach wie nach dem Genuß einer Droge oder nach ganz starkem Kaffee. Die Fenster zum Park standen weit offen. Es war die Zeit der Lindenblüte, und ich schmeckte den Honigduft mit einer fast anwidernden Intensität. Die nächtlichen Geräusche der Stadt drangen gedämpft zu mir herauf: schwacher Motorenlärm, der grölende Gesang eines Betrunkenen, Musik aus irgendeinem Atelier in der Nachbarschaft. Und dazwischen aus dem dunklen Park die süße Strophe einer Nachtigall. Der Himmel hatte sich bewölkt. In der Ferne zog ein Wetter auf. Flächenblitze, die über den Horizont zuckten, erhellten den Raum für Sekundenbruchteile und ließ mich die Umrisse der Möbel erkennen. Bald trommelte der erste Regenschauer auf die Fensterbleche. Das Gewitter kam näher. Ein Sturm erhob sich. Unten rauschten die Bäume. Die Gardinen wehten wie gespenstische Fahnen ins Zimmer. Ich schloß die Fenster und legte mich wieder nieder. Im Zimmer war es angenehm kühl geworden. Aber der Schlaf wollte nicht kommen.
    Das Hirn arbeitete weiter. Ich befand mich im Büro von Wildermuth. Er saß mir, in einen riesigen Frosch verwandelt, in einem grünen Frack mit goldenen Knöpfen gegenüber und blinzelte mich aus einem glühenden Zyklopenauge an. Er sagte kein Wort, hob aber vier Finger in die Luft, vier Froschfinger, zwischen denen sich durchsichtige Schwimmhäute spannten. Und ich verstand ihn genau. Es gab vier Möglichkeiten. Und die vierte hieß: keiner von beiden. Aber wenn weder Textor noch Victoria als Täter in Frage kamen, wer war es dann?
    Der Traum riß ab. Aber ein neuer begann.
    Ich rannte durch ein riesiges Haus. Endlose Korridore taten sich vor mir auf, mit zahllosen Türen links und zahllosen hohen Spitzbogenfenstern rechts, durch die grelles Licht fiel, das die Schatten der Fensterkreuze scharf wie Scherenschnitte auf den blitzenden grünen Belag des Bodens warf. Zu meiner Linken flogen die Türen auf, Lakaien in schwarzen Eskarpins rissen ihre goldverbrämten Dreispitze ab und salutierten vor mir, indem sie ein Bein stampfend zur Seite setzten. Die Säle aber, die sich vor mir öffneten, waren mit den kostbarsten Stücken aus Stephan Textors Besitz ausgestattet. In der Mitte jedes dieser Prunkräume stand unter blitzenden Kronleuchtern mit flackernden Kerzen jemand, der mir grüßend zuwinkte: Bürgermeister Voggenreiter, Oberwachtmeister Veitl, Kriminalrat Wildermuth, Stephan Textor, Victoria, Manueli, Alexander, Hansi, die alte Frau Empfenzeder, die Kellnerin Kathi, Miss Arabella, aber ich rannte an den Sälen vorbei, tanzend, von Kreuz zu Kreuz springend, leicht wie eine Feder und von einem Honigwind vorwärtsgewirbelt, der mich schwerelos trug und einem Ziel zufliegen ließ, das mich mit magnetischen Kräften anzog. Und plötzlich verengte sich das Sternengewölbe. Hinter mir fielen die Türen der Säle mit einem lauten Knall zu, und rechts flogen schwarze Vögel heran und bedeckten mit ihren Flügeln die Fenster, so daß kein Lichtstrahl mehr durchfiel. Ich flog durch rauschende, pechschwarze Finsternis. Nur vor mir glühte ein roter Punkt, wie die Glut einer Zigarre, begann sich zu bewegen und malte Arabesken in die Dunkelheit, Buchstaben einer fremden, seltsamen Schrift, die ich noch nie gesehen hatte und dennoch lesen konnte:

    KEINER VON BEIDEN

    Und verschwand. Ich aber stand vor einer Tür, drückte sie auf und sah ein Gemach, eng wie ein Beichtstuhl, und darin einen hochgetürmten, gotischen Altar, vor dem eine Frau kniete und wie ein Wolf heulte: »Mea

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