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Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad

Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad

Titel: Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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unterbrochen.
    Auf einer saftigen grünen Wiese sah er ein Rudel Rehe vorbeiziehen. Er blieb stehen und beobachtete die anmutigen Tiere eine Weile beim Äsen. Die nahe Donau hielt die Wiesen und Auen den ganzen Sommer über frisch.
    Schließlich besann er sich wieder seines Auftrags. Obwohl er keine Lust hatte, musste er heute noch mit einigen Leuten ernsthaft reden. Seine Tante hatte ihm öfter Unschlüssigkeit und mangelnde Energie vorgeworfen. Er hatte sich gegen diese Vorwürfe vehement gewehrt, aber er sah ein, dass sie nicht ganz unbegründet waren. Seine Neigung, sich dem Müßiggang hinzugeben, war in den letzten Jahren stärker geworden.
    Als das Lusthauswasser in Sicht kam, legte er sich am Ufer ins Gras und hielt ein kleines Schläfchen. Erst als es sich ein paar Ausflügler mit Kinderwägen und einer Schar älterer Kinder auf der Wiese bequem machten und die Kinder herumzuschreien begannen, verließ er das romantische Plätzchen.
    Auf der Praterhauptallee begegneten ihm die ersten noblen Kutschen und die ersten vornehmen Spaziergänger. Lustwandeln im Prater gehörte zu den Lieblingsbeschäftigungen der feinen Wiener Gesellschaft. Ziel jeder Praterfahrt war das von Isidore Canevale 1783 erbaute Lusthaus am Ende der prachtvollen Allee.
    Die elegant gekleideten Herren trugen alle Zylinder, Gehrock und Handschuhe und schwangen ihre Spazierstöcke mit den kunstvoll verzierten Knäufen vor sich hin und her. Die Damen in ihrer Begleitung trugen neckische Hüte und Handschuhe und schützten ihre milchig weiße Haut mit zarten Sonnenschirmchen.
    Gustav lüftete einige Male seinen Halbzylinder. Allerdings stand ihm nicht der Sinn nach höflichem Geplauder.
    Nirgendwo waren die gesellschaftlichen Gegensätze so deutlich sichtbar wie im Prater. Während ein paar Meter weiter in den Donauauen die Obdachlosen hausten und sich so mancher Kleinkrimineller versteckte, präsentierte sich hier der Hochadel und das Großbürgertum mit ihren goldstrotzenden Equipagen und ihren herrlichen Schimmeln spanischer Zucht. Selbst die Kutscher, Lakaien und Pferdehalter waren mit goldbestickten schwarzen Rokoko-Röcken, weißen Strümpfen und Schnallenschuhen ausgestattet. Ihre Perücken unter den mit Goldborten und Straußenfedern geschmückten Dreispitz- und Zweispitzhüten erinnerten an das Paris Louis XVI .
    Weit und breit kein Hauch von Aufklärung oder gar Revolution in diesem Land, dachte Gustav, als er die Hauptallee verließ und durch Wald und Wiesen Richtung Donau ging.
    In der Au begegnete ihm ein Wachmann auf einem Veloziped. Der Uniformierte sah ihn misstrauisch an.
    „Was machen S’ denn da?“
    „Spazieren gehen, das sehen Sie doch.“
    „Das ist keine Gegend für so einen feinen Herrn wie Ihnen. Da herunten in der Au lebt lauter Gesindel.“
    Gustav bedankte sich höflich für die Warnung, spazierte aber gemächlich weiter über die saftigen und zum Teil sumpfigen Wiesen.
    „Gehen S’, machen S’ keine G’schichten, drehen S’ wieder um. Schaun S’, dass Sie zurück auf die Hauptallee kommen.“
    „Seit wann ist es verboten, hier spazieren zu gehen?“ Gustav ging weiter.
    Als ihm einige zerlumpte Gestalten begegneten, überlegte er, ob Leonie von Leiden vielleicht in diesem Dschungel am Rande der Großstadt festgehalten wurde. Es war schlicht und einfach unmöglich, hier jemanden zu finden. Er machte bald kehrt, spazierte zurück zum Wurstelprater.
    9
    Als Gustav die ersten Hutschen und Ringelspiele erblickte, beschleunigte er seine Schritte. Er hatte Hunger.
    Die Fleischselcher und Kasstecher hatten um die Mittagszeit Hochbetrieb. Ein unangenehmer Geruch nach altem Käse und ranzigem Fett strömte ihm entgegen. Sogleich verging ihm der Appetit.
    Von Mai bis Oktober waren an schönen Tagen die Gasthausgärten im Prater bis auf den letzten Platz besetzt. Ärmere Leute zechten hier fröhlich und schlugen sich die Bäuche voll. Früher spielten in den Gastwirtschaften die Harfenisten auf. Die verschiedenen Musiker, auch Leier- und Zitherspieler, wurden heute immer noch Harfenisten genannt. Sie spielten keine eigenen Kompositionen, sondern überkommene Weisen und bekannte Lieder. Auch die beliebten Volkssänger ließen sich manchmal hier blicken, obwohl sie normalerweise in eigenen Singspielhallen ihre Couplets und musikalischen Possen zum Besten gaben.
    Während Gustav überlegte, ob er sich nicht doch ein Back- oder Brathendl oder gar eine Stelze genehmigen sollte, beobachtete er die Kellner in den

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