Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
gesehen und besonders bei den Damen sehr beliebt. Und Sie sind verliebt in eine dieser schönen Damen – das kann ich sehen.“
Gustav spürte, wie er errötete.
„Sie sind sich nicht sicher, ob diese Dame Sie auch liebt.“
„Nein“, seufzte Gustav.
„Sie tun gut daran, dieser Person nicht zu vertrauen, denn sie findet auch Gefallen an anderen Männern …“
„An wem, außer an Freddy Mars?“, stieß Gustav heftig hervor.
„Im Wurstelprater kursieren Gerüchte, dass sie mit Herrn Polanski mehr als nur bekannt ist.“
Er lachte verächtlich. Margarete von Leiden und Max Polanski ein Liebespaar? Nein, das konnte nicht sein. Diese Wahrsagerin wollte sich nur wichtig machen. Dass Margarete seine Klientin war, wusste sie. Und es bedurfte keiner großartigen Hellseherei, um zu vermuten, dass er sich in sie verliebt hatte.
„Bald werden Sie diese Frau ohnehin vergessen. Denn in naher Zukunft werden Sie beruflich sehr erfolgreich sein, mein Herr! Eine einflussreiche Person wird sich für Sie einsetzen. Sie werden einen Brief erhalten, und dieser Brief wird Ihr Leben verändern. Nahezu alle Ihre Wünsche werden in Erfüllung gehen.“
Gustav musste unwillkürlich an seinen natürlichen Vater denken und fragte sich, ob Graf Batheny ihm in Zukunft weitere Klienten schicken würde.
„Es gibt jedoch auch dunkle Schatten in Ihrer Aura. Sie sind ein Zweifler, ein Suchender …“
„Ja, ich suche nach wie vor Leonie von Leiden. Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was Sie wissen?“, unterbrach Gustav sie gereizt.
„Haben Sie ein Bild von Leonie?“
Gustav zeigte ihr das Foto, das ihm Margarete überlassen hatte.
Sylvia sah die Fotografie lange an, legte sie dann unter die Glaskugel und starrte eine Weile auf die Kugel.
„Ich sehe ein großes schwarzes Loch. Es sieht aus wie ein Eisenbahntunnel, und in diesem schwarzen Tunnel bewegt sich etwas …“ Nach diesen Worten wurde sie sichtlich unruhig und klapperte noch lauter mit ihren Armreifen.
Es reicht, dachte Gustav. Der Phantasie sind im Prater eben keine Grenzen gesetzt. Er warf eine Münze auf ihr Tischchen und verließ überstürzt das Zelt.
Beim Watschenmann holte ihn die Realität wieder ein. Einige junge Burschen reagierten ihre Wut ab. Die hübschen Mädchen, die sich um sie drängten, kicherten und juchzten bei jedem Schlag. Wer hat die kräftigsten Fäuste, wer imponiert den Mädchen am meisten? Heute erschien Gustav dieses Kräftemessen lächerlich und unter seiner Würde. Als Sechzehnjähriger hatte auch er den Watschenmann mit seinem Freund Rudi um die Wette traktiert. Soweit er sich erinnerte, war es ihm nie gelungen, Rudi zu besiegen.
Als er am Gasthaus „Zum schwarzen Rössel“ vorbeikam, glaubte er, Max Polanski mit zwei jungen, verwegen aussehenden Männern an einem Tisch im Gastgarten zu erblicken. Er war sich nicht sicher. Denn die breite Krempe seines Hutes überschattete fast sein ganzes Gesicht.
Gustav zögerte und beschloss, die drei eine Weile zu beobachten.
Neben dem Gasthaus drehte sich das Dampfwagen-Karussell „Zum großen Chinesen“, das der Familie Calafati gehörte. Der italienische Familienname war mittlerweile auf die überlebensgroße hölzerne Figur des Chinesen in der Mitte des Karussells übergegangen. Es handelte sich eigentlich um den Mittelpfeiler, den der alte Calafati mit Hilfe von achtzig Metern Brokatstoff als Chinese verkleidet hatte. Der große Chinese winkte unheimlich mit der Hand, wenn sich das Ringelspiel drehte. Als Kind hatte Gustav die spezielle Mutprobe, diesen Riesen mit dem grimmigen Gesicht an seinem acht Meter langen Zopf zu zupfen, bravourös bestanden. Die hübschen Holzpferdchen und die Lokomotiven „Nanking“ und „Peking“, die sich in seiner Kindheit mit der höllischen Geschwindigkeit von 40 km/ h im Kreis bewegten, hatte der Sohn des alten Calafati längst durch Velozipede ersetzt.
Radfahren war große Mode geworden. Die Wiener schienen von einem richtigen Fahrradfieber ergriffen zu sein. Während Gustavs langjähriger Abwesenheit waren in Wien mehrere Radfahrerclubs gegründet worden. Sein Freund Rudi war bereits Mitglied im „Österreichischen Touring-Club“. Ein anderer merkwürdiger Sport, bei dem zweiundzwanzig Männer um einen Ball kämpften und sich dabei gegenseitig die Beine kaputt schlugen, war ebenfalls von England aus auf den Kontinent übergeschwappt. Fußball wurde meist in der Radrennbahn oder auf der Jesuitenwiese gespielt. Der ganze Prater entwickelt sich
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