Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
zart war. Zum Glück hatte er nichts im Magen. Er spuckte nur gelb-bräunlichen Schleim.
„Deine erste Wasserleiche?“, fragte Rudi mitfühlend.
Gustav würgte es erneut. Die Übelkeit brachte ihn aus der Fassung.
Rudi drehte den Kopf der Toten zur Seite, teilte das nasse Haar und tastete ihren Hinterkopf ab.
„Ertrunken ist das Fräulein höchstwahrscheinlich nicht. Ich vermute, sie hat einen tödlichen Schlag auf den Hinterkopf abbekommen. Wo bleibt dieser Doktor Mayringer“, herrschte er seine Leute an. „Habt ihr Trottel ihn nicht verständigt?“
„Ich hab sofort den Kerner losgeschickt.“ Der junge Horvath wagte es, seinem wütenden Vorgesetzten in die Augen zu sehen.
„Und warum ist der Mayringer noch nicht da?“
Horvath zuckte mit den Achseln.
„Wieso hat man sie in die Donau geworfen, wenn sie erschlagen worden ist. Das ergibt keinen Sinn?“ Gustav sprach mit sich selbst.
„Das musst du den Mörder fragen. Vielleicht hat er gehofft, dass die Leiche erst in Pressburg angeschwemmt werden würde?“
„Dem Herrgott sei Dank“, stöhnte Gustav. Er hatte es gewagt, einen zweiten Blick auf die aufgedunsene Leiche zu werfen, und das große dunkle Muttermal auf der rechten Wange der Frau entdeckt, das vorher unter ihrem Haar und den Algen versteckt gewesen war.
„Das ist nicht Leonie von Leiden!“
„Bist du sicher?“
Gustav nickte aufgeregt.
„Aber ich fürchte, ich weiß, wer sie ist. Die junge Frau heißt Angelina und ist Kunstreiterin bei dem Zirkus, der gerade im Wurstelprater gastiert.“
„Woher kennst du die schon wieder?“
„Das erzähl ich dir später. Müssen wir noch länger hier herumstehen?“
Obwohl Gustav der Tod der hübschen Angelina auch nahe ging, war er sehr erleichtert, dass es sich bei der Leiche nicht um Leonie handelte. Er wollte jetzt nichts wie weg. Außerdem befürchtete er, dass sein Freund stinksauer auf ihn sein würde, wenn er ihm erzählte, was die arme Kunstreiterin ihm und Freddy gestern anvertraut hatte.
Zum Glück war Rudi ganz wild darauf, mit der Leichenfischerin zu reden.
Sie fanden die Alte im Schankraum vom Wirtshaus „Zum Friedhof der Namenlosen“. Sie sprach mit ihrem Bier, als sich die beiden Freunde an ihren Tisch setzten.
„Erzähl uns, was heute Morgen passiert ist. Wann hast du die Leich entdeckt?“, fragte Rudi sie.
„Bei Sonnenaufgang. Vorher war es ja zu finster, um irgendwas zu sehen.“ Die zahnlose alte Frau blickte Rudi misstrauisch an.
„Die Donau war gerade aufgewacht. Die Wellen sind langsam ans Ufer ’plätschert. Weiter draußen hab ich was Dunkles im grauen Wasser gesehen. Gleich nach dem gefährlichen Strudel, dort, wo das Wasser flacher wird, tauchen s’ immer auf. Ich hab mein Boot genommen und bin rausgerudert …“
„Hat ihr Rücken wirklich rausgeschaut?“
„Na, ihr Jacken.“
„Wenn sich eine Wasserleiche längere Zeit in den Fluten befindet, wird sie durch die Verwesungsgase im Bauch wie ein Ballon nach oben gehoben. Arme und Beine folgen dem Gesetz der Schwerkraft und nur der Rücken ragt aus dem Wasser“, erklärte Rudi seinem Freund. „Treibt der Leichnam unten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, das jemand anderer Hand angelegt hat und das Gas dadurch entwichen ist.“
„Mein Boot ist fast umgekippt, wie ich mich zu ihr runtergebeugt hab. Aber ich hab sie am Kragen erwischt. So wie ich noch alle erwischt hab.“
„Und die Leich ist genauso dahergeschwommen wie die anderen, die du bisher aus dem Fluss gezogen hast?“
„Ja mei, wie soll sie denn sonst daherkommen sein?“
„Ich meine, ob sie der Strudel an die Oberfläche gebracht hat?“
„Na, das Donauweibchen.“
Rudi sah seinen Freund an und tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Stirn.
„Welches Donauweibchen?“
„Blöde Frage.“
Gustav fand ihr zahnloses Grinsen furchterregend.
„Einsam sind s’ gestorben, einsam wollen s’ begraben werden“, murmelte die Alte.
Gustav fragte, was sie damit sagen wolle.
„Lass es gut sein.“ Rudi erhob sich.
Gustav folgte seinem Freund hinaus in den schattigen Gastgarten. Sie bestellten jeder ein Seidl und ein kleines Gulasch.
Es war extrem schwül. Rudi zog seine Jacke aus. Unter seinen Achseln zeichneten sich große dunkle Schweißflecken auf seinem weißen Hemd ab.
Mächtige Gewitterwolken stiegen über dem Leopoldsberg auf.
„Da ist was im Anzug.“ Gustav, der keinen Schirm mitgenommen hatte, blickte besorgt auf das grandiose Wolkenspiel.
Der
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