Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
verhängnisvollen Brief gefaselt. Ich habe nicht richtig zugehört. Du weißt, ich glaube nicht an diesen Hokuspokus!“
„Mein Gott, Gustav, sei nicht so überheblich. Warum bist du nicht weiter in sie gedrungen? Vielleicht weiß sie ja tatsächlich etwas?“
Widerwillig sah er ein, dass seine Tante Recht hatte. Diese Erkenntnis verbesserte seine Laune keineswegs. Hatte sich Sherlock Holmes jemals solch einen stümperhaften Fehler erlaubt? War der gute Dr. Watson auch nur ein einziges Mal schlauer gewesen als sein genialer Freund?
Kaum hatte sich Gustav zurückgezogen, malte er sich das morgige Treffen mit der schönen Sylvia aus. Der Gedanke an sie erregte ihn mehr, als ihm lieb war. Sein Schäferstündchen mit Theresa hatte ihn auf den Geschmack gebracht. Er überlegte sogar, auf ein Bier in eine der Spelunken am Spittelberg zu gehen. Doch bevor er es mit einer schmutzigen Dirne trieb, machte er es sich lieber selbst.
Er entledigte sich seiner Kleider, legte sich aber nicht hin, sondern setzte sich, nur mit seinem dunkelroten Morgenrock bekleidet, in den bequemen Ledersessel vor dem schweren Schreibtisch seines Großvaters. Neben dem Schreibtisch stand ein Servierwagen mit Messingrollen, der Gustav als Bar diente. Er genehmigte sich einen kleinen Whisky, machte sich ein paar Notizen über die bisherigen Ereignisse, schrieb einige Namen auf ein Blatt Papier und dahinter meist Fragezeichen, strich den einen oder anderen Namen wieder durch und geriet ins Grübeln.
Dieser Fall überforderte ihn eindeutig. Eine Entführung und ein Mord innerhalb von ein paar Tagen – er sollte die Aufklärung wirklich besser seinem Freund Rudi überlassen. Während er sich weiter den Kopf zerbrach, schaute er beim offenen Fenster hinaus. Die Gaslaternen waren von den Laternanzündern um Mitternacht ausgelöscht worden. Er starrte in die Finsternis. Plötzlich erschien Sylvias Gesicht vor seinen Augen. Nach einer Weile verschwamm es, machte Margaretes lieblichem Antlitz Platz, bis sich schließlich beide zu einem Bild vereinten.
Er nickte am Schreibtisch ein, hatte in den letzten Nächten eindeutig zu wenig Schlaf bekommen. Das Pendel der Uhr schlug dreimal, als er endlich zu Bett ging.
Dienstag, 7. Juli 1897
16
Als jemand in aller Herrgottsfrüh heftig an die Wohnungstür klopfte, eilten Gustav und seine Tante im Schlafgewand in den Vorraum.
Vera öffnete.
„Rudi, was willst du denn um diese nachtschlafende Zeit?“, fragte sie entsetzt und hielt mit einer Hand den Kragen ihres Morgenmantels zu.
„Gustav abholen“, sagte er verlegen. Sein Blick wanderte von ihrem langen Haar, das ihr fast bis zur Taille reichte, zu ihren Brüsten, die sich deutlich unter dem dünnen seidenen Morgenrock abmalten.
„Kommen Sie herein“, wechselte sie rasch zum Sie. Seit Rudi lange Hosen trug, war sie mit ihm strikt per Sie. „Josefa macht Ihnen einen Kaffee. Ich zieh mir rasch etwas über.“
Gustav zog sich ebenfalls an, bevor er seinem Freund in der Küche Gesellschaft leistete.
„Du bist mir ein schöner Freund! Letzten Freitag hast du versprochen, mit mir auf ein Bier zu gehen und dann hast dich tagelang nicht gerührt.“
„Hab keine Zeit gehabt.“
„Wenigstens eine Nachricht hättest mir schicken können.“
„Bei uns ist der Teufel los. Wir haben Freddy verhaftet, ihn aber wieder freilassen müssen. Er hat ein hieb- und stichfestes Alibi für die Tatzeit. Inzwischen haben wir eine neue Leiche. Eine junge Frau wurde von der Leichenfischerin in Albern aus der Donau geborgen. Sieht auf den ersten Blick wie Selbstmord aus. Es könnte sich um das Mädchen handeln, das du suchst.“
Gustav starrte seinen Freund mit offenem Mund an.
„Woher weißt du, dass ich jemanden suche?“
„Hältst du mich für einen kompletten Idioten? Seit Tagen rennst du im Prater herum und quetschst irgendwelche Leute aus. Hast du im Ernst geglaubt, dass ich nichts davon erfahren würde? Warum hast du mir nicht erzählt, dass Leonie von Leiden entführt worden ist? Wenn sie tot ist, dann möchte ich nicht in deiner Haut stecken.“
„Nein, nicht die Kleine!“ Vera, die gerade aus ihrem Zimmer kam, hatte die letzten Sätze gehört.
„Bitte regen Sie sich nicht auf, gnädige Frau. Wir wissen ja nicht mit Bestimmtheit, dass es sich bei der Wasserleiche um Leonie von Leiden handelt.“ Rudi lächelte sie bewundernd an.
Sie hatte ihr neues grünes Kleid angezogen und ihre Haare wie üblich straff zurückgekämmt und zu einem Knoten
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